Dienstag, 31. März 2015, 11:31 Uhr
Kurzgeschichte / Heimflug

Heimflug

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Kurzgeschichte von Ursula Kroon

Westerstede Die Leuchtbuchstaben der Anzeigentafel blinken. Ich ergreife meinen Koffer und gehe mit 144 Menschen in Richtung Ticketkontrolle. Boarding. Ein kleines Mädchen hält ihren Kuschelbären fest an sich gedrückt. Ein alter Herr wird von seiner Frau gestützt. Langsam gehen wir vorwärts, Schritt für Schritt. Ich blicke zurück. Eine Gruppe von Jugendlichen ist in Unruhe. Die Lehrerinnen sind auch noch sehr jung, sehen auf ihre Uhren und diskutieren. Boardingfieber.

Langsam strömen Frauen, Männer, Jungen und Mädchen vor mir von rechts und links an der Ticketkontrolle vorbei in den Schlauch, der den Flieger nährt. Zeit ist genug da, sage ich mir, lass sie doch ruhig vorbei, wir sitzen noch lange genug im Flieger. Wäre ich doch schon zu Hause. Die Stimmen hinter mir werden lauter. Einige Schüler stürmen uns hinterher. Eine Lehrerin bleibt noch zurück, sorgenvolle Augen blicken auf ihre Uhr. Schritt für Schritt geht es weiter.
Die Kabinentür ist erreicht. Sie ist dick und sicher schwer zu schließen, rauscht es durch meinen Kopf. Lächelnde Gesichter mit dunkelrotem Käppchen empfangen uns, begrüßen jeden einzelnen Passagier. Ein kurzer Blick durch die Cockpittür zeigt die Piloten beim Checken der Systeme. Deutsche Zeitungen und Zeitschriften liegen bereit. Mal wieder Deutsches lesen! Ich ergreife mehrere Zeitungen. Der Flug dauert Stunden. Den engen Gang geht es weiter und weiter, Schritt für Schritt. Der Blick ist auf die Zahlenreihen über den Sitzen gerichtet. Zahlreiche Sitze mit Anschnallgurten, Reihe um Reihe. Meinen Fensterplatz habe ich gefunden. Den Rucksack mit der Kamera verstaue ich im Gepäckfach. Hoffentlich wird die Kamera nicht so gedrückt wie das Blitzlicht beim letzten Flug, das nun eine Beschädigung hat. Mein Fensterplatz ist eng, mit den Knien stoße ich an den Vordersitz. Das kenne ich schon. Nach dem Flug werde ich die Abdrücke noch eine Weile massieren müssen.

Die Jugendlichen müssen so alt sein, wie meine Schüler, die unlängst im Praktikum waren. Handys werden gezückt. Fotos gemacht – Selfies aus der Maschine vor dem Abflug.

Es ist wenig Platz für die Zeitungen. Der starke Geruch der Druckerschwärze steigt mir in die Nase. Angewidert lege ich sie auf meine Beine. Der Gurt muss passen. Ein Blick aus dem doppelglasigen Fenster – der Koffertransport läuft. Große und kleine Taschen, ein Kinderwagen, nein zwei.
Lieber würde ich noch stehen. Menschen strömen herein, Schritt für Schritt, suchen ihren Platz, verstauen ihre Koffer, Jacken, Schminkköfferchen und Duty free-Tüten. Neben mir nimmt ein junger Mann – ein Baum von Mann Platz, zwängt die Knie ein. Er nimmt mir nahezu die Luft zum Atmen. Meinen Arm muss ich von der Lehne nehmen. Er braucht den Platz. Neben ihm erscheint seine Freundin, sie verstaut ihre Zigarettenstangen im Gepäckfach und lässt sich in den Sitz fallen.

Ich hätte lieber noch etwas länger in der Abflughalle gestanden. Ob wohl die Lehrerin schon an Bord ist? Nun sitzen fast alle, die Gurte klicken. Der Steward geht von vorne aus durch und kontrolliert die Gepäckfächer – uns solle während des Fluges nichts auf den Kopf fallen. Meine Zeitungen stinken, gerne würde ich sie auf den Boden legen, es ist aber zu eng.
Der junge Baum neben mir tauscht den Platz mit seiner Freundin, damit er die Beine mal während des Fluges zum Gang hin ausstrecken könne. Er hat ein bezauberndes Lächeln, fröhliche braune Augen und sonnengebräunte Haut. Die Gelegenheit nutze ich, um die Zeitungen auf den Boden unter meine Beine zu legen. Sie setzt sich, Selfie mit dem Baum. Wie schön und glücklich sie sind.
Die Stewardess ermahnt beide, sich doch anzuschnallen. Wir warten. Das Mädel postet, lacht, streichelt sein Bein. Die Kabinenmitarbeiter gehen eilig durch die Gänge. Eine alte Dame weigert sich, den Gurt anzulegen. Sie sei ja schon so alt und müsse das wohl nicht mehr. Hartnäckig wird sie aufgefordert, die Stewardess hilft ihr dann. Die Dame schüttelt den weißhaarigen Kopf, ihr Gesicht zeigt viele tiefe Falten, ihr Blick senkt sich. Wir warten. Zwei Menschen eilen über den Gang. Es sind die Lehrerin und ihre Schülerin. Sie haben es noch geschafft. Großes Hallo bei den Schülern. Sprüche, Sachen verstauen, setzen, anschnallen. Fasten seat belt. Ein Baby schreit. Der Sicherheitsfilm läuft, Schwimmwesten unter den Sitzen, Handhabung, Notausstiege – ok, ja.

Das Flughafengebäude entfernt sich, der Himmel ist grau, einige Regentropfen tropfen lautlos an mein Doppelglasfenster. Ein Baby schreit. Wir rollen. Gelbe Linien und Signallichter ziehen unter und an uns vorbei – die Druckerschwärze rieche ich noch immer. Der Baum nimmt ihre Hand, streichelt sie und beruhigt sie, es sei ja nur bis zur Reiseflughöhe kritisch. Ich schreibe meinem Liebsten, dass wir gleich starten – Ich freue mich auf dich - warte einen Moment und schalte dann um auf Flugmodus. Auf der Startbahn warten wir, es ist ruhig, leise Stimmen, ein Baby weint. Die Schülerinnen erzählen vom Vorabend, von tollen Typen und die Jungen spielen noch immer mit den Handys.

Wir warten. Ich liebe das Startgefühl, diese Geschwindigkeit!
Die Turbinen drehen auf, das Flugzeug fährt an. Die Reifen der Maschine rollen spürbar wie mit Saugnäpfen bestückt über die Rollbahn, wir werden schneller und schneller, ein Kribbeln im Bauch, wann hebt es ab? Schneller. Schneller. Die Reibung geht verloren, wir sind leicht und schweben über Häuser und die Küste in den Morgenhimmel. Mein Magen knurrt. Ein Kaffee wäre jetzt toll.
Die alte Dame löst ihren Gurt. Sie blickt mürrisch vor sich hin. Was für ein wunderbarer Blick aus dem Fenster, doch dann wird es nebelig, wir schweben durch die Wolken. Das Mädel neben mir studiert die Duty-free-Produkte, die sie im Flugzeug kaufen kann. Ich suche meinen Kopfhörer, um etwas Musik zu hören. Wir steigen auf. Das Baby kreischt. Sehen kann ich es nicht. Ein kleiner Junge vor mir spielt mit einer bunten Lichterkette vom Strand. Wie komme ich nun wieder an meine Zeitungen? Wir steigen.

Er will ihr eine hübsche Kette zur Erinnerung an den ersten Urlaub kaufen. Sie strahlen sich an, streicheln sich. Ich vermisse meinen Liebsten. Warum bin ich auch alleine geflogen? Es leuchtet noch: Fasten- seat belt! Wir steigen. Der Kleine vor mir jammert, weil er auf die Toilette will. Er muss warten. Magengrummeln. Im Hotel gab es so früh noch kein Frühstück. Wir steigen. Es ist ruhig geworden. Die Schülerinnen reden leise.

Gestern war ich an der Küste, die Sonne schien, das Meer rauschte, Schaumkronen donnerten an den Strand. Noch ist das Meer kühl, aber schon bald ist es der Urlaubsmagnet schlechthin. Ich blicke in den Wolkennebel, der dünner wird und vage die blasse Sonne zeigt. Nach und nach kämpfen sich einige Sonnenstrahlen durch. Dann liegen die Wolken unter uns in einer geschlossenen Decke. Wir steigen auf und warten.

Reiseflughöhe. Der Kapitän begrüßt uns an Bord. Reiseflughöhe, Wetter in Deutschland, Ankunftszeit, Flugroute, guten Flug! Fasten seat belt erlischt, der keine Junge rennt zur Toilette, die Sonne erstrahlt am blauen Himmel. Durch Wolkenlücken ist die landkartengleiche Erde zu sehen. Flüsse und Berge erscheinen in vielen Farben. Wie bunt doch unsere Erde ist. Kribbeln im Bauch. Ein Baby schreit herzzerreißend, die Schülerinnen schlafen, haben sich eingekuschelt. Die Landschaftsfelder sind deutlich zu erkennen, das Mädel blättert in einer Zeitschrift, Promis und Trennungsgerüchte. Immer im Fokus der Öffentlichkeit. Sie streicht sich die langen blonden Haare zurück, klemmt sie hinter die Ohren. In der mittleren Reihe sitzt ein blonder junger Mann mit Wuschelkopf. Rhythmisch geht er in seiner Musik auf. Die Landschaft unter uns wird deutlicher, keine Signale für uns.

Die alte Dame bindet sich einen Schal um. In der Ferne sehe ich die majestätischen Berge mit ihren Eisspitzen. Skifahrer tummeln sich dort zu Ostern. Sinken wir? Das vordere Flugzeug neigt sich schon seit einigen Minuten. Reisende sehen fern. Sicher müssen wir einem Unwetter ausweichen und die Piloten wollen uns nicht beunruhigen. Die Stewardessen laufen über den Gang nach vorne. Die Berge werden klarer – ein herrlicher Blick, Schade, dass ich die Kamera oben im Gepäckfach habe und ich am Fenster eingeklemmt sitze. Wir sinken. Zuhause muss ich erst einmal Osterrezepte sichten. Vorne scheint es Streit in der Mannschaft zu geben. Stimmengewirr. Eine Stewardess weint bitterlich. Eine Männerstimme wird laut. Was hat er gerufen? Jetzt fliegen wir ganz dicht über den Bergen dahin. Lawinengefahr schießt es mir durch den Kopf – warum fliegen wir nur so tief? Das Mädel wimmert, der Baum hält sie fest. Die Stimmen und ein Pochen werden lauter, die Passagiere sehen nach vorne, halten die Hände vors Gesicht, ein Rums erschüttert das Flugzeug. Das Mädel greift meine Hand, wir halten uns, ein Kaleidoskop von Bildern.

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