Freitag, 13. August 2021, 18:04 Uhr
Varel / Eheschließung / Geschichte

Ein Meilenstein der Eheschließung in Varel

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Varel / Zetel / Halsbek Die Zivilehe in Deutschland wurde während der napoleonischen Zeit 1804 im Rahmen des Code civil eingeführt. Nach der Restauration und dem Beginn der preußischen Herrschaft 1815 wurde die Zivilehe in vielen Gebieten Deutschlands allmählich wieder abgeschafft. Aufgrund der föderalen Struktur des Deutschen Bundes gab es jedoch auf Gebiete die relativ schnell eine Wiedereinführung der Zivilehe vorantrieben.

Vorreiter waren hierbei die Freie Hansestadt Bremen sowie  das Großherzogtum Oldenburg. In Oldenburg wurde auf Initiative des Baptisten Frerich Bohlken bereits am 31. Mai 1855 ein „Gesetz über die Zivilehe für das Land Oldenburg“ verkündet. Bohlken war Landwirt und zudem eine prägende Figur der ersten Generation der nordwestdeutschen Baptistengemeinden. 1848 starb seine erste Ehefrau Helena-Sophia Frers und der, aus der evangelisch-lutherischen Landeskirche ausgetretene, Bohlken strebte vor dem großherzoglichen Amt eine zweite Eheschließung mit Elisabeth Wehlau an. Dies wurde mit folgender Begründung abgelenht: „Zur Vollgültigkeit einer geschlossenen Ehe ist nach hiesigem Gesetze die Priesterliche Einsegnung ein wesentliches Erforderniß.“

Frerich Bohlken erhob dagegen Einspruch und erklärte sich dazu bereit, „priesterlich segnen zu lassen“ und schlug deshalb Johann Gerhard Oncken, den in Varel geborenen Gründer der deutschen Baptistengemeinden, als seinen Traupastor vor. Doch auch dies wurde abgelehnt, da die Behörden nur eine Eheschließung durch die evangelisch-lutherische Staatskirche akzeptierten. Dennoch wurde die Eheschließung vollzogen. Am 29. August 1848 ließen sich Bohlken und Wehlau in der Wohnung von Johann Oncken unter Beisein von Zeugen aus den Baptistengemeinden Jever und Bremen durch einen trauen. Zuvor hatte Frerich Bohlken sich vom Amt Westerstede bescheinigen lassen, dass gegen eine Eheschließung nichts einzuwenden wäre.

Die Ehe wurde natürlich nicht anerkannt und die drei aus der ehe hervorgegangenen Kinder galten als unehelich. Erst im  Mai 1855 erließ der oldenburgische Großherzog Nikolaus Friedrich Peter ein „Gesetz betreffend der bürgerlichen Eingehung der Ehe“. Die erste Trauung auf dieser gesetzlichen Grundlage fand am 12. Juli 1855 in der Stadt Varel statt. Der dortige Baptistenpastor August Friedrich Wilhelm Haese und seine Verlobte Metta Schütte waren die ersten, die dank des neuen Gesetzes zivilrechtlich getraut wurden. Haese hatte im Gegensatz zu Bohlken einen anderen Weg gewählt und hatte 1853 Kontakt mit dem Konsistorium der Oldenburger evangelisch-lutherischen Staatskirche aufgenommen. Haeses Antrag, seine Eheschließung vor einem baptistischen Geistlichen zu vollziehen, wurde zwar abgelehnt, führte jedoch dazu, dass die Oldenburger Regierung eine gesetzliche Regelung der Eheschließung von Dissidenten in Betracht zog. So kam es, dass das Vareler Ehepaar Haese und Schütte zum ersten zivilrechtlich getrauten Ehepaar in Deutschland wurden.

Im Anschluss an den zivilrechtlichen Akt nahm Johann Gerhard Oncken im Garten des Hauses Schütte an der Vareler Mühlenstraße Nr. 43 die kirchliche Trauung des Ehepaares Haese vor. Haese war dem Großherzog für das neue Gesetz so dankbar, dass er diesem jährlich zum Geburtstag gratulierte. Bohlken übrigens, wiederholte seine Eheschließung sieben Jahre nach seiner eigentlichen Trauung nunmehr rechtskräftig vor dem Amt Westerstede.

Preußen führte erst im März 1874 die obligatorische Zivilehe ein. Gegen die Zivilehe gab es teilweise erhebliche Widerstände. Im Deutschen Reich wurde die Zivilehe im Zuge des Kulturkampfs 1875 – also zwanzig Jahre nach der Eheschließung in Varel – durch das Gesetz über die Eheschließung nach preußischem Vorbild geregelt.

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