Mittwoch, 25. März 2015, 11:30 Uhr
Früher / andere Zeiten

"Zwölf Eichen?"

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Die Erinnerungen wecken Träume auf und malen farbenprächtige und lustige Bilder in das „Heute“; und dennoch gibt es Bilder, an denen bleibt keine Farbe haften, man kann sie nach wie vor nur in schwarz-weiß sehen.

Apen / Ammerland
Ich bin mir sicher daß es mehr als zwölf Eichen waren, die der Eichenstraße in Klauhörn zu ihrem Namen verhalfen, aber in meiner Lieblings-Südstaaten-Saga "Vom Winde verweht" (Gone with the wind) kommen sie auch vor, und deshalb fand ich sofort eine direkte Verbindung zu der Zeit als ich 12-Jährig das Buch las und gleichzeitig zu unserer Straße, an der ich meine Kindheit verbrachte.
Aus einem alten Bilderalbum, das man mir vor Jahren überließ, habe ich einige Fotos über die Geschichte unserer Eichenstraße in Klauhörn gefunden.
Wie der einstige Sandweg von der Dorfbevölkerung in Eigenregie zur befestigten Straße wurde zeigt eines der Bilder.
Es war damals noch eine holprige Straße , mit Steinbrocken aufgefüllt, aber jeder Meter dieser Eichenstraße birgt jeweils eine Geschichte aus meinem Leben.
Da waren die bunten Blumen am Straßenrand, die ich der Mutter zum Muttertag pflückte. Sie standen weitab vom Hof, an einem Grabenrand. Ich fühlte mich berechtigt sie zu pflücken, da sie offensichtlich niemanden gehörten. Aber ......sie gehörten zum Nachbargrundstück!!!
Das Zurückbringen und die mir abverlangte Entschuldigung waren für mich mehr als peinlich und durchaus nicht lustig. Sicher bin ich mir heute, daß es große Rhododendron-Blüten waren, lila-farben.
Etwas weiter befand sich auch die raffiniert in Form gebrachte Buchsbaumhecke, die Heckenschere hatte daraus eine Henne geformt, die auf dem Nest saß.
Gleich auf den nächsten Metern taucht in meiner Erinnerung ein weiteres Relikt von früher auf.
Da gab es nämlich die lange Kirchenbank, die ich aus dem Fundus der Apener Kirche aufgekauft hatte, als das Kircheninventar komplett erneuert wurde. Bänke und Orgelpfeifen konnte man damals für wenig Geld erwerben.
Ich saß so oft auf dieser Bank, dachte nach und schrieb so manche Geschichte auf. Eine nette Nachbarin hat mir damals die Bank mit einem Trecker nach Hause transportiert. Sie hat noch lange dort gestanden wie ich hörte, an dem Platz, den ich ihr einst, vor ungefähr 50 Jahren zugedachte.
Nur ein paar Meter weiter wohnte damals Christa. Zwei Jahre betrug der Altersunterschied und das war zu der Zeit schon ganz schön gravierend, fand meine Mutter. Ich fand das weniger und fühlte mich mit Christa sehr wohl .Wenn Zeit zum Spielen war, dann verbrachte ich sie auch gern mit ihr. Wir malten, zogen gemeinsam aus zum sogen. Moorweg , um Brombeeren zu pflücken und wurden dabei so manches Mal von einem Gewitter überrascht. Dann kamen wir vollkommen durchnäßt nach Hause, zum Leidwesen unserer Mütter.
Wenn ich in Gedanken die Straße von damals entlanggehe, dann fallen mir zu allen Nachbarn, zu jedem Weg, der davon abging und zu jedem Grundstück , tausend Begebenheiten und Dinge ein.
Als sich die immergrüne Wiese, die unserem Haus gegenüberlag, auf einmal wie mit einer schwarzen Decke überspannt darstellte, konnte ich mir zuerst keinen Reim daraus machen. Aber beim näheren Hinsehen sah ich die dicht an dicht hockenden schwarze Krähenschaar, die hier mal kurz eine Pause machte. Ich finde das immer noch phänomenal, wenn solche Naturschauspiele sich vor meinem Augen ausbreiten.
Am Ende der Straße gab es eine Sandkuhle mit einer Wasserstelle . Es führte ein Weg hindurch, den wir als Abkürzung zur Schule nach Augustfehn III nutzten.
Auf meinem Schulweg kam ich auch an dem Haus vorbei, wo Tante Marie und Onkel Wilhelm wohnten. Wir nannten alle Nachbarn Tante und Onkel, das war damals halt so. Hätte man sie anders angesprochen, ich glaube, das hätten sie überhaupt nicht gern gesehen.
Tante Marie rieb mir meine klammen Hände im Winter wenn ich mal wieder die Handschuhe vergessen hatte und sie war es auch, die mich später bat, ihr die englisch geschriebenen Briefe von ihrer Schwiegertochter, die nur Englisch sprach, zu übersetzen, da der Sohn gerade im fernen Amerika als Soldat seinen Dienst tat . Das war dann aber schon zu der Zeit, als ich die Mittelschule in Augustfehn besuchte.
Dorthin begleitete mich tagtäglich mein Schulfreund Walter. Er wohnte im fast letzten Haus am Ortsausgang in Richtung Ihorst.
Wir waren die einzigsten Kinder aus Klauhörn, die zur Mittelschule fuhren. Damals legte man das Augenmerk eher auf handwerkliche Berufe. Da Mädchen sowie heiraten und den Haushalt führen mußten, verzichtete man auf die Notwendigkeit der besseren Ausbildung, man benötigte sie ja sowieso nicht.
Von dieser Einstellung mußte man aber schon bald danach Abstand nehmen, auch auf dem Land zogen relativ schnell Bildung und Fortschritt an die Spitze der gesellschaftlichen Aktivitäten.
Ich wage mal zu behaupten, daß Walter ein richtig schlauer Junge war, er las schon sehr früh dicke Wälzer, die mir eher zu schaffen machten, weil ich sie nicht auf Anhieb verstand. So überließ er mir "Krieg und Frieden", als 12-Jährige. "Das mußt Du unbedingt lesen, das ist so spannend" meinte er dabei.
Wir erledigten auch die Besorgungen, die unsere Familien uns aufgetragen hatten, gemeinsam auf dem Nachhauseweg von der Schule. Die Erwachsenen hatten wegen der Ernte meistens keine Zeit ihre Besorgungen selbst zu erledigen.
Auf der Eichenstraße, die später dann schon eine Asphaltstraße war, spielten wir Federball und waren fast schon Profis, wenn der Hula - Hupp-Reifen zum Einsatz kam. Natürlich wetteiferten wir darum, bei wem der Reifen ohne runter zufallen am längsten um die Mitte kreiste.
Bewegende Momente wurden auf dieser Straße diskutiert,traurige und erfreuliche. Genauso wie auch schon mal die ersten Tanzschritte "aus dem Augenblick heraus" vorgeführt wurden.
Das Leben auf dem Land pulsierte nicht ganz so engmaschig wie in der Stadt, aber auf dem Land war schon immer etwas mehr "draußen", vor dem Haus, wo sich der Alltag dann auch verstärkt abspielte. Die Arbeitspausen zwischen Eggen und Pflügen oder Dreschen und Kartoffelsuchen waren zwar fast unverschiebbar festgelegt, aber der Platz, wo man das "Vesper" (Nachmittags um 16.00 h) abhielt wurde spontan bestimmt und war meistens draußen.Das sparte Zeit und war eh' viel lustiger als drinnen.
Das Landleben erschien für die Besucher aus den Städten anfangs etwas sonderbar und die großen Portionen zu Mittag ließen ein sichtbares Erstaunen in ihren Gesichtern erkennen. Letztendlich aber waren die Städter mit den Spezialitäten auf dem Land mehr als einverstanden und daß es immer genug davon gab, das lernten sie nach und nach auch zu schätzen.
Konflikte wurden nicht lange "um- und zerredet", man kommt zur Sache auf dem flachen Land und desto eher ist dann auch alles wieder im Lot. Man redet ein paar klare Worte und schon ist der momentane Feind wieder der Freund, so wie er es immer schon war.
Eins aber zog sich wie ein roter Faden durch die gesamte Nachbarschaft, damals, als ich noch dort zu Hause war: Ehrlichkeit bedeutete nicht allein klare Worte; jeder konnte sich auf jeden verlassen und gerade diese Bestandteile vom Landleben entschädigte sogar etwas für Dinge, die man gerade in der Jugendzeit auf dem Land sehr vermißt hat. All' das, was in der Stadt möglich und an der Tagesordnung war, das ging natürlich auf dem Dorf überhaupt nicht.
Bei uns im Dorf hörten sich sogar schon die Namen der Nachbardörfer Apen und Augustfehn an wie "bessere Lebensqualität und mehr Luxus", wo man die Sonntagssachen auch über die Woche tragen konnte . Was beide Orte besonders machte: hier gab es Bahnhöfe, sowohl in Apen wie in Augustfehn. In Apen gibt es seit 40 Jahren jetzt auch keinen Bahnhof mehr, man hat ihn weg-rationalisiert. Aber heute hat ja die Bevölkerung in der Regel auch ein Auto zur Verfügung, sodaß diese Einrichtung nicht mehr ganz so vermißt wird wie früher.
Damals, Anfang der 60er Jahre habe ich mir gewünscht, dort zu wohnen, möglichst in der Nähe des Bahnhofs, um in die Welt hinauszufahren und um sie kennenzulernen zu können.
-Mein größter Wunsch war früher: Einmal zu Albert Schweitzer nach Lambarene. Aber den konnte mir keiner erfüllen.-
Erst als ich Ende Zwanzig war zogen wir nach Augustfehn, wo es natürlich auch einen Bahnhof gab, dessen Bedeutung zwar nicht wesentlich abgenommen hatte, aber den Stellenwert von früher hatte er auch nicht mehr.
Früher war von Klauhörn aus alles nur mit dem Fahrrad zu erreichen. Da war es schon ein Problem, wenn man die Butter oder andere Lebensmittel vergessen hatte. Die näher gelegenen Läden waren immer noch mindestens 6 km entfernt und als Kind ist man sowieso ziemlich genervt, wenn man so weit fahren muß. Ich habe die Strecken auch doppelt so lang wie heute empfunden. Für Kinder ist halt alles größer, alles bedeutender und wesentlich wichtiger als für einen Erwachsenen.
Damals habe ich das Leben auf dem Land nicht unbedingt geliebt, es gab zuviel Unannehmlichkeiten, aber die große Gemeinschaft ist wohl überall auf dem Land ein sehr positiver Aspekt und er wertet das Landleben erheblich auf. Jeder kannte jeden und wie schon erwähnt wurden alle mit Onkel und Tante angesprochen, obwohl nicht der geringste verwandtschaftliche Bezug bestand. Demzufolge waren auch die Angehörigen, die Sonntags zu Besuch kamen, allen immer gut bekannt. Jeder kannte die Angehörigen der Nachbarn in der Straße; und die vom Gegenüber-Nachbarn sowieso ganz besonders gut.
Dann gab es natürlich auch noch den Winter auf dem Land und der war wahrhaftig nicht im geringsten als "prickelnd" zu bezeichnen. Wenn es geschneit hatte und der Wind ganze Schneelandschaften über Gräben und Straßen gezogen hatte, dann gab es weder Weg noch Steg und absolut kein Durchkommen. Erst wenn der Schneeschieber einen Gang hindurchgeflügt hatte, dann war auch der Weg für diejenigen wieder frei, die - um früh genug zur Arbeit zu kommen - , um Stunden eher hätten ihren Zug erreichen müssen.
Wie solche Probleme heute gehandhabt werden auf dem Dorf? Das kann ich nicht sagen, aber ich glaube, daß die Situationen im Winter mit Sicherheit verbessert wurden.
Verbesserungen gibt es auch im allgemeinen Alltag der Dorfbevölkerung heute ganz erheblich. Allein die technischen Geräte zur Arbeitserleichtung auf den Höfen sind enorm. Und die pubertäre und Jugendzeit ist heute aufgrund der geregelten Verkehrs-Situation lange nicht mehr so entbehrend abweichend vom Stadtleben wie früher.
Es war kein zögerlicher Fortschrift, der das Landleben veränderte, es ging eigentlich sehr schnell, wenn man bedenkt, was in 50 Jahren in Deutschland alles passiert ist, dann ist das für mich fast unglaublich.
Erfolgreiches Schaffen von Generationen wird auch unseren Nachkommen ein fast vollkommenes Leben bieten können, aber..........man darf die Zeit nicht anhalten wollen, es muß sich alles weiterdrehen . So wie Ebbe und Flut nie aufhören werden die Zeit zu bestimmen, so wird die Landbevölkerung mit ihren Erzeugnissen die Städter versorgen, so wie es immer schon war und wenn Gott will, auch immer so bleiben wird.
Auf Plattdeutsch gibt es einen Spruch im anderen Zusammenhang, aber er paßt auch: "So hebbt wi't ümmer dan, so schallt ok wietergahn!"

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