Das Erbe der Väter
Jeder möchte heute wissen wo seine Wurzeln sind und viele finden es spannend, wenn Menschen, die älter sind als man selbst, aus ihrem Leben erzählen. Im kleinen Dorf Klauhörn, in der Gemeinde Apen, erzählte man mir von früher und gab mir Weisheiten mit auf den Weg.
Apen / Ammerland / Oldenburg
Man kann sie weder in Büchern noch in Tageszeitungen finden, und schon gar nicht entdeckt man solche biografischen Geschichten im Internet zum Nachlesen:
Das Gedankengut in Form von Geschichten und Anekdoten, oder auch Erzählungen und Weisheiten von Dorfältesten, liegen meistenteils familiär-bedingt in der Vergangenheit jeder Familie und bleiben auf immer verborgen, wenn sich nicht einer der Nachfahren mal daran macht, die weitergereichten Geschichten aufzuschreiben.
Es waren nicht immer lustige Dinge und es flossen beim Erzählen sogar Tränen, zwischendurch , wenn meine Großmutter über eine Zeit erzählte, die lange vor uns Bedeutung hatte und alle Geschehnisse, die damals passiert sind, haben harte und entbehrungsreiche Zeiten als Grundlage; heute mag sich wohl keiner wiedererkennen in dem fast blindglasigem Zeitspiegel.
Von allem was meine Großmutter aus ihrem Leben zu erzählen hatte erfuhr ich auf einer kleinen Fußbank sitzend, die in unserem Haus „Kieke“ genannt wurde und die eine wohlige Wärme ausstrahlte wenn der Feuerraum mit glühenden Kohlen befüllt wurde.
Und wenn ich richtig nachdenke, dann hatte selbst diese „Holz-Kieke“ eine eigene Geschichte.
So ähnlich mußte auch das „Feuerstövchen „ ausgesehen haben, das vor vielen vielen Jahren in Klauhörn hätte Wärme in den harten Winter holen sollen und dann soviel Leid anrichtete indem sie in Flammen aufging. Das Schlimmste war, daß ein kleiner Mensch dabei ums Leben kam und die Trauer ein ganzes Dorf übermannte.
Großmutter erzählte über die langen Schulwege nach Apen, die man zu bewältigen hatte. Über zerschundene Füße in Holzschuhen weil kein Geld für andere Schuhe da war.
Es gab auch Zeiten, in denen die Schule erst an zweiter Stelle stand, nämlich dann, wenn man auf der kleinen Hofstelle jede Hand für die Ernte benötigte, dann mußte das Lernen mal ausfallen. Das alles muß um 1880 und etwas später noch gewesen sein .In jedem Haushalt wurde selbst geschlachtet, noch bis weit in die 50iger Jahre, daran kann ich mich auch selbst noch dunkel erinnern.
Immer wieder im Laufe meiner Kindheit wurde mir klar, daß Erzählungen und Gedanken niemals von Menschen empfangen werden können, denen die Werte wie Wissen und Weitergabe nicht viel bedeuten.
Irgendwoher muß ich also ein paar Dinge von denen, die im Leben wichtig sind , mitbekommen haben.
Mitte der 50er Jahre rührte mich die Traurigkeit meiner Großmutter, die in ihren Erzählungen einen Moment inne hielt, um ihre Tränen zu trocknen, die sie immer noch, nach ganz vielen Jahren, um ihre beiden kleinen verstorbenen Geschwister weinte, die im Babyalter an zwei aufeinanderfolgenden Tagen verstorben waren, an Diphterie.Damals war so eine Krankheit unheilbar und viele starben daran. Großmutter holte ein Kästchen hervor und zeigte mir zwei blonde Locken, die sie über so viele Jahre aufbewahrt hatte. Damals waren schon fast 70 Jahre vergangen und in den Geburtsurkunden, die auch noch vorhanden waren, las ich den Namen Anna-Christine, wie eins der Kinder getauft war.
Fast hundert Jahre, danach, nach dem Datum in der Geburtsurkunde, trug durch Zufall wieder ein kleines Mädchen fast den gleichen Namen, etwas abgewandelt, aber sie wurde Anna Kristin genannt, meine kleine Enkelin, die inzwischen schon selbst Kinder hat.
Später, als meine Mutter ihre Geschichten erzählte, da ging es dann schon um etwas weniger dramatische Inhalte obwohl es speziell im schulischen Bereich bei Weitem nicht mit der Schulform von heute zu vergleichen war.
Das war dann schon um 1930 und die Erzählungen umrissen viele Themengebiete. Stockschläge für ungezogene Schüler waren zwar damals an der Tagesordnung, ich halte sie aber - auch für die damalige Zeit – absolut unangebracht. Man ging mit Schiefertafeln und Griffeln zur Schule und für das Entfernen des Geschriebenen von der Tafel benötigte man nasse Lappen und Schwämme. Wenn so eine Tafel in die Brüche ging, dann war es wirklich eine Überlegung in der Familie, ob man sich eine neue leisten könne. Sie sollte ja eigentlich die ganzen Schuljahre halten.
Die meist als Einraumschulen errichteten Schulgebäude beherbergten alle Jahrgänge in einem Raum, sodaß die älteren Schüler immer mal helfend zur Seite stehen konnten, wenn die Kleinen nicht voran kamen.
Von kleinen Anekdoten aus der Schulzeit konnte auch meine Mutter noch berichten, so parierte eine ihrer kleinen Mitschülerinnen auf die Frage des Lehrers, warum die Schiefertafel ohne Hausaufgaben sei, keck mit der Antwort: "Das ging gar nicht, ich war bei Tante Maitje! "Vielleicht habe ich den Namen jetzt falsch geschrieben, aber dieser Tante Maitje-Satz wurde dann viele Jahre im Dorf zu einer geflogenen Redewendung.
Man kann soviel erfahren, von Lebensgewohnheiten, Weisheiten und bemerkenswerten Lebensführungsmaßnahmen aus der vergangenen Zeit.
Ich hatte schon als Kind reges Interesse an allem was mir unbekannt war aus der Vergangenheit, suchte das Gespräch mit älteren Menschen, damit sie mir viel Wissen von früher anvertrauen konnten. Ich habe leider versäumt alles aufzuschreiben, und somit ist schon einiges in Vergessenheit geraten.
Langsam komme auch ich in ein Alter, in dem die Funktionen von Geist und Seele vielleicht immer weniger werden und das ein- oder andere sicher schon mal vergessen wird.
Vergessen habe ich allerdings nie was ein Dorfältester aus Klauhörn, ein damals geschätzter älterer Bürger, mir mal sagte als ich noch ein Kind war:
„Ehrlichkeit und Wahrheit sind das höchste Gut des Menschen und somit sehr wichtig im Leben. Allerdings weiß ich nicht, ob es immer diplomatisch ist seinem Gegenüber die unverblümte Wahrheit direkt ins Gesicht zu sagen.“
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