Montag, 30. März 2020, 22:06 Uhr
Dr. Nick Oberheiden

Der Kampf um Texas

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Apen Dr. iur. Nick Oberheiden, J.D. (UCLA)
Attorney-at-Law (New York, Washington D.C.)

In sechs Monaten wählen die Amerikaner ihren Präsidenten. Glaubt man aktuellen Umfragen, so scheint Amtsinhaber Trump bislang Schwierigkeiten zu haben, seinen Amtsinhaberbonus gegenüber den vermeintlichen demokratischen Herausforderer Joe Biden voll ausschöpfen zu können. Doch sind die Umfragen tatsächlich weiterführend? Zur Erinnerung, 2015 haben es nur wenige für möglich erachtet, dass Donald Trump die etablierten republikanischen Parteikonkurrenten Jeb Bush oder Senator Mario Rubio wird bezwingen können. 2016, im Jahr der Wahl, lag Hillary Clinton in nahezu jeder Umfrage vor dem politischen Quereinsteiger Trump—und verlor. 


Das Wahlsystem der USA

2020 ist es nicht anders. Umfragen, so nützlich sie auch für ein allgemeines Stimmungsbild sein mögen, verfehlen im Wahlsystem der USA häufig ihre Zielgenauigkeit. Bekanntlich werden Präsidenten in den USA nach einem eigentümlichen Wahlmodus bestimmt. Nicht derjenige wird Präsident, der die meisten Stimmen erzielt, sondern derjenige, der mindestens 270 sogenannter Wahlmänner auf sich vereinen kann. Dem Konzept der Gründerväter folgend, stehen jedem der 50 Bundesstaaten, anteilig nach Größe und Einwohnern, ein bestimmtes Stimmenkontingent zu. 

Dieses System führt bisweilen zu obskuren Wahlkampfstrategien. Weil die Präsidentschaftskandidaten beider Parteien sich des Gewinns bestimmter Bundesstaaten (z.B. Kalifornien und New York traditionell für die Demokraten, Utah und Tennessee verlässlich für die Republikaner) sicher sein können, fokussiert sich der gesamte Wahlkampf letztlich auf die Bundesstaaten, in denen beide Parteien eine reelle Chance auf eine Stimmenmehrheit haben (sog. swing-vote Staaten). Denn wer die Mehrheit der Stimmen in einem Bundesstaat gewinnt, der bekommt alle diesem Bundesstaat zugeteilten Wahlmänner.

 
Warum Texas das politische Zentrum der Wahl werden könnte

Dem Bundesstaat Texas kommt dabei im Wahlkampf 2020 eine entscheidende Bedeutung zu. Der Staat im tiefen Süden der USA ist zwar seit langer Zeit fest in republikanischer Hand. Jedoch hat sich die demographische Ausgangslage in den letzten fünf Jahren folgenschwer geändert. 

Die drei großen Metropolen Dallas, Houston und Austin sind um ein Vielfaches gewachsen und gehören zu den sich am schnellsten ausdehnenden Städten der USA. Houston steht unmittelbar davor, Chicago als drittgrößte Stadt der USA abzulösen. Mehr als eine Millionen Menschen sind allein in die Region um Dallas mit nunmehr fast 8 Millionen Einwohnern seit 2016 zugezogen. Die texanische Wirtschaft boomt und der anhaltende Verzicht auf eine Einkommenssteuer zieht ungebrochen neue Bewohner an.

Viele dieser neuen Texaner sind akademische Führungskräfte aus Kalifornien und New York—mit traditionell demokratisch-liberalem Weltbild. Republikanische Krusten brechen auf, die Demokraten sind beflügelt von der Idee eines Wahlsieges in Texas. 2018 war es beinahe so weit. Völlig unerwartet wurde das Duell um die Senatsposition zwischen Amtsinhaber Ted Cruz und dem demokratischen Neuling Beto O’Rourke zu einer dramatischen Zitterpartie. Senator Cruz konnte sich nur denkbar knapp gegen seinen demokratischen Herausforderer durchsetzen, ein bis dahin nicht für möglich gehaltenes Szenario. Der Demokrat gewann die großen Städte, Cruz das ländliche Umland.

Seitdem ist nichts mehr wie es einmal war in Texas. Beide Parteien haben Texas zur ultimativen Wahlkampfpriorität erklärt. Einig sind sich beide Parteien, dass wer Texas verliert keine Chance besitzt, die Wahl zum Präsidenten zu gewinnen. Ein beispielloser Spendenmarathon ist auf beiden Seiten ausgebrochen, an dessen Ende mehrere Hundert Millionen Dollar in den Südstaat fließen werden. Selbst kleinste Ortsvereine in Texas erfreuen sich plötzlich millionenschwerer Zuwendungen aus den Wahlkampfkassen der Bundesparteien. Jede Stimme (und jeder Dollar) zählen.

Texas vergibt ganze 38 der für den Wahlgewinn erforderlichen 270 Wahlleute—eine im landesweiten Vergleich der 50 Bundesstaaten geradezu astronomische Zahl. Mit einem Triumph in Texas verkommen ganze Regionen der USA zur numerischen Makulatur. Zum Vergleich: selbst wenn ein republikanischer Bewerber Alaska (3), Idaho (4), Utah (6) Montana (3), Wyoming (3), Nord Dakota (3), Süd Dakota (3), Nebraska (4) und Kansas (6) auf sich vereinen kann bzw. ein demokratischer Kandidat Maine (2), New Hampshire (4), Delaware (3), Vermont (3), Washington DC (3), Connecticut (7), Rhode Island (4) und Massachusetts (11) gewinnt, so können diese Siege eine Niederlage in Texas nicht kompensieren.

 
Strategien, Chancen, Spendenmarathon

Das Wahlkampfteam um Präsident Trump ist alarmiert. Gleich mehrere Umfragen sehen ihn entweder gleich auf oder gar in Rückstand auf den vermeintlichen Kandidaten der Demokraten Joe Biden. Die demokratische Bundespartei, bereits ungewöhnlich stark involviert in die Zwischenwahlen 2018, hat jüngst angekündigt, ihre Anstrengungen in Texas zu verdreifachen. Zusätzlich zu den Zuschüssen aus den Parteikassen wurden demokratische Großspender, selbst die, die keinerlei Wohnsitz oder anderweitige Bezugspunkte zu Texas besitzen, aufgefordert, ihre Spenden direkt den texanischen Demokraten zu Gute kommen zu lassen. Im Ergebnis wird kein Bundesstaat mehr an finanziellen Zuwendungen erhalten als Texas, wobei ein Großteil dieser Gelder von amerikanischen Milliardären aus Kalifornien und New York erwartet wird.

Die Antwort der Republikaner ließ nicht auf sich warten. Fast täglich, bereits sechs Monate vor der Wahl, gehen landesweite Spendenaufrufe aus, die Republikaner in Texas zu unterstützen. Alle wissen, sollte Texas an die Demokraten fallen, besteht mathematisch keine Chance, die Wahl zu gewinnen. Die Lösung? Anstatt sich allein auf die Finanzierung des Präsidentenwahlkampf zu konzentrieren, sollen sämtliche im November zur Wahl stehenden Kandidaten, also auch Bewerber für das texanische Parlament bzw. den amerikanischen Kongress nach Kräften unterstützt werden, um so eine breite Wählermobilisierung in Texas zu garantieren.

Das Corona-Virus hat beide Parteien gezwungen, ihre Wahlkampfstrategie den neuen Gegebenheiten anzupassen. Diese Neuerungen scheinen Präsident Trump besonders hart zu treffen. Berühmt für seine Massenveranstaltungen mit teils zehntausenden Anhängern muss der Meister der Wählermobilisierung nunmehr notgedrungen noch stärker als 2016 auf soziale Medien ausweichen. Ersten Schätzungen zufolge werden Demokraten und Republikaner über $ 1 Milliarde für den digitalen Wahlkampf 2020 ausgeben. Das Trump-Team hat allein 2019 mehr als 218,000 online Annoncen gestreut und so weite Teile des Internets für sich eingenommen.

Die Problematik der Demokraten ist ungleich schwieriger. Ursprünglich geplant war eine sog. Graswurzelbewegung, bei der eine möglichst breite Masse dazu bewegt wird, sich finanziell, wenn auch noch so winzig, an der Unterstützung der Hauptkandidaten zu beteiligen, um auf diese Weise mit Spenden in Höhe von $ 5-20 ein Engagement und letztlich eine dauerhafte politische Zusage als Folge der Investition zu erreichen (sog. micro-commitments). Diese praktizierte Basisdemokratie hat sich nun auf Facebook, YouTube, Instagram und Google verlagert, jedoch mit der wichtigen Nuance, dass die erhoffte Spendenbereitschaft angesichts von derzeit rund 30 Millionen Arbeitslosen gerade in der Masse noch auf sich warten lässt.

Unabhängig davon, wer letztlich Texas gewinnen wird, es wird ein harter Endspurt für beide Parteien. Die Euphorie der Demokraten macht die Republikaner nervös.

Autorenporträt:

Dr. Nick Oberheiden vertritt hochrangige Politiker, Wirtschaftsführer und internationale Mandanten in Bundesverfahren vor dem amerikanischen Justizministerium, dem FBI, sowie dem Außen- und Verteidigungsministerium. Sein Studium der Rechte umfasst u.a. München, Hamburg, Heidelberg (Dr. iur.) und Los Angeles (Juris Doctor).

 

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