Donnerstag, 20. Februar 2014, 17:39 Uhr
Milchviehanlage / Kuhstall / NABU

Massentierhaltung - Quo vadis? Ist die industrielle Landwirtschaft noch sinnvoll?

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Die „Bürgerinitiative Rastede - Kuhdorf, nein danke!“ lud am 11.2.2014 zur Bürgerversammlung im Residenzhotel „Zum Zollhaus“ ein.

Rastede / Kleibrok Die „Bürgerinitiative Rastede - Kuhdorf, nein danke!“ lud zur Bürgerversammlung im Residenzhotel „Zum Zollhaus“ ein. Der Anlass war, der interessierten Öffentlichkeit die Gelegenheit zu geben, sich anhand der vorgetragenen Argumente ein Meinungsbild bezüglich der geplanten Milchviehanlage mit 600 Kühen zu verschaffen

Podiumsteilnehmer sind:
Susanne Grube (Vertreterin - BUND)
Dr. Dörthe Henoch (Ärztin)
Ottmar Ilchmann (Vertreter Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - ABL)
Christian Meyer-Hullmann (Landwirt, Antragsteller der Milchviehanlage in Kleibrok)
Markus Penning (Vertreter - OOWV)

Moderation: Pastor Friedrich Henoch


Wie auch schon bei vorangegangenen Veranstaltungen der BI „Kuhstall, nein danke!“ war das Interesse mit rund 300 Teilnehmern wieder groß. „Die Teilnehmerliste und die vielen Zuhörer unterstreichen die Tatsache, dass es sich bei der Auseinandersetzung mit dem geplanten Objekt um ein Thema von derzeit höchster Brisanz für die betroffene Bevölkerung handelt“ betonte der Sprecher Dr. Thomas Neumann in seiner Einführung, bevor er das Wort an den Moderator Pastor Friedrich Henoch übergab.

Unter der Überschrift und Motto des Abends „Massentierhaltung - Quo vadis? Ist die industrielle Landwirtschaft noch sinnvoll?“ gibt Henoch zunächst einen Einblick in Ammerländer landwirtschaftliche Verhältnisse. Die industrielle Landwirtschaft mit der verbundenen Gewinnmaximierung sei ein neues Problem für diese Region. Das Ammerland hat durchaus noch gesunde Strukturen im Milchviehbereich. Jedoch sind Rückgänge von landwirtschaftlichen Betrieben in den letzten 20 Jahren von 50 % zu verzeichnen.

Christian Meyer-Hullmann (Landwirt-Antragsteller):

Als erster Redner erläutert Landwirt Christian Meyer-Hullmann sein Vorhaben, eine Milchviehanlage mit nunmehr 600 Tieren mit einem größeren Abstand zum Siedlungsgebiet zu errichten. Als sog. privilegierter* Landwirt möchte er mit seiner „Scholle“ durch derartige Erweiterungen unter Erfüllung aller Auflagen die Existenzsicherung seiner  Familie ermöglichen. Er fühle sich nicht nur als Rasteder, sondern er wolle auch dafür Sorge tragen, dass die Nachbarschaft am Ortsrand einvernehmlich bleibt. Der Vorwurf Flächen aufzukaufen, um damit andere Landwirte zum Aufgeben zu zwingen, sei nicht seine Absicht.

Eine bäuerliche Landwirtschaft wie früher sei heutzutage nicht mehr effizient und biete keine Arbeitsplätze. Die Marktgesetze und die Verteilung der Fördergelder geben häufig die Entwicklung in der Landwirtschaft vor. Die Folge ist die Aufgabe kleinerer bäuerlicher Betriebe. Die Frage, ob er sich eine Bioproduktion vorstellen könne, verneint er u.a. mit der Begründung, dass Bioprodukte aufgrund des höheren Preises Ladenhüter bleiben und regional keine Infrastruktur vorhanden ist.

In der Frage, ob ihm bewusst ist, dass durch die Errichtung einer weiteren riesigen Milchviehanlage ein Missverhältnis zwischen den bewusst überschussproduzierenden reichen Ländern und den immer ärmer werdenden Ländern der sogenannten Dritten Welt weiter beschleunigt wird, erkennt der Landwirt kein Problem. Er sieht in der Milch ein deutsches Qualitätsprodukt, das sich wie jede andere Exportware, auf dem Weltmarkt behaupten muss.

Markus Penning (Oldenburgisch-Ostfriesischer Wasserverband - OOWV):

Zu Themen der Trinkwasserqualität, Vermaisung, Gülledüngung, Nitratwerten im Boden und im Grundwasser erklärte Geologe Penning den Stand der Erkenntnisse. So ist im Verbandsgebiet eine deutliche Tendenz zu erkennen, dass Mais als einzige Pflanze auf dem Acker kein Grundwasserschutz beinhaltet. Bisherige Erfolge der letzten Jahre vor 2003 beim Grundwasserschutz wurden nachweislich durch Biogasanlagen und Maisanbau (für das EEG – Gesetz) zu Nichte gemacht.

Das Trinkwasser sei sicher, wurde mehrfach betont, aber wie lange es so bleibt, wird in Frage gestellt? Das neue Güllekastaster würde ein Schritt in die richtige Richtung sein, damit eine Überdüngung von hofnahen Flächen nahezu ausgeschlossen würde.

Das Argument, dass die Nitratbelastung des Grundwassers aufgrund der auf die Grünflächen im Umkreis des geplanten Milchviehstalles nur deshalb für die Rasteder nicht konkret relevant ist, weil in diesem Gebiet aus dem Grundwasser kein Trinkwasser gewonnen wird, ist in einer Nachbetrachtung eine sehr bedenkliche Ansicht.

Dr. Dörthe Henoch (Ärztin):

Beunruhigend gelangen zunehmend Meldungen zu Todesfällen durch multiresistente Keime (MRSA- Resistente Staphylokokkus Aureus) an die Öffentlichkeit. Dazu erklärt die Ärztin Dr. Henoch, dass antibiotikaresistente Keime zwar in der Rinderhaltung noch nicht so stark wie in der Schweine- und Hühnerhaltung (90%) nachzuweisen sind, jedoch mit immerhin 17 % zu Buche schlagen. Der Antibiotikaeinsatz in der Massentierhaltung mit 1700 Tonnen pro Jahr liege in Deutschland 40-mal höher als der Antibiotikaverbrauch in allen deutschen Krankenhäusern.
Im Allgemeinen trete eine Häufung von resistenten Keimgruppen bei Landwirten zunehmend auf.

Susanne Grube (BUND Ammerland):

Die Position des Naturschutzes wird von Susanne Grube anschaulich dargestellt. Insekten und Kleinlebewesen leiden unter Monotonie der Landschaft und der intensiven Bewirtschaftung unserer Wiesen und Felder. Vögel leiden als Folgeerscheinung des schwindenden Nahrungsangebotes besonders, so werden beispielsweise seit Jahren Rückgänge der Kiebitze verzeichnet.
Das Landschaftsbild des Ammerlandes hat seinen Reiz und ist geprägt durch die Weidehaltung. Weidegang der Rinder ist gerade unter Naturschutzaspekten die natürlichste Lebensform.

Ottmar Ilchmann (Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - ABL):
Ilchmann referierte mit Weitblick und setzt Meyer-Hullmann entgegen, dass die Milchproduktion in Deutschland keinesfalls kostendeckend ist und durch vielfache versteckte Subventionen erst zu einem Geschäft für die Branche wird. Agrardiesel, Stilllegungsquoten, AfP - Maßnahmen zur Gebäudefinanzierung, aber auch Biogasförderprogramme, um nur einige zu nennen, zeigen, dass Milch hierzulande teuer mit Hilfe des Steuerzahlers produziert wird. Landwirte können bei den heutigen Bedingungen in eine Schuldenfalle geraten, wenn Abhängigkeit zu den Banken wegen hoher Kredite entsteht und die Familie nicht mehr Mithilfe einbringen kann. Viel Kritik wird am derzeitigen Geflecht aus Kraftfutterproduzenten, Berufsverbänden, Molkereien, EU-Förderrichtlinien, Landwirtschaftskammern und Landwirten geübt.



Die im Anschluss der Vorträge an den Pastor Henoch gerichtete Frage bezüglich der Haltung zur Verwendung von Wärme aus der Biogasproduktion fällt besonders ins Gewicht: Die Kirche lehne die Produktion von Energie aus Lebensmitteln (wie hier aus Mais) ab. Die Äcker sollten global zur Nahrungsmittelproduktion verwendet werden. Mehrgliederige Fruchtfolgen sind anzustreben, um einer Verödung zu entgehen. So hat der Gemeindekirchenrat der evangelischen Kirche in Rastede seinerzeit nach ausführlicher Diskussion beschlossen, keine Wärme für die Kirche in Wahnbek aus der Biogasanlage vom Landwirt Meyer-Hullmann zu beziehen. Mit dieser umweltfreundlichen Politik übernimmt sie somit eine Vorbildfunktion.

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