Samstag, 11. April 2015, 20:11 Uhr
Kindheit

Gestern ist lange her

1962
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Noch mehr Klauhörner Geschichten. Unser Erdbeer-Hund Rex und ganz viel Eßbares

Apen / Ammerland
Niemals werde ich durch diesen Ort gehen können ohne in der Erinnerung die Spuren meiner Kindheit zu sehen.
Es gibt sogar Momente in denen ich sie noch höre, die Geräusche, die die Aufhängung meiner Kinderschaukel verursachten.
Mein Großvater hatte sie konstruiert und sie war nicht wirklich kinderfreundlich, jedenfalls fühlt sich das in meinen Erinnerungen so an.Fest und sicher zwar, aber eben nur dem Zweck dienend, es fehlte etwas an Farbe , eben die optische Schönheit fürs Auge.
Ein einfaches Holzbrett mit ganz vielen Astlöchern war an zwei Ketten befestigt, die wiederum an zwei starken Bäumen Halt fanden. Wenn ich die volle Schwungkraft zu erreichen versuchte, dann war das Ächzen der Ketten das nervige und unüberhörbare Hauptgeräusch bei der schaukelnden Angelegenheit.
So wie alle Kinder in diesem, unserem Land,  ihren Großvater nennen, so rief auch ich ihn mit diesem Namen:Opa.
Mein Opa, den ich damals schon für sehr alt hielt, hatte soviel Besonderheiten. Er kokettierte vor mir mit seinem kleinen französischen Wortschatz, den er in seiner Zeit in Verdun(Frankreich) erworben hatte, weil er wußte, daß ich es liebte, aus der wohlklingenden fremden Sprache Verbindungen zu unserer Sprache zu suchen und oft sogar auch fand.
Opa war im 2. Weltkrieg einer der wenigen Männer in Klauhörn, die aufgrund des Alters nicht mehr in den Krieg ziehen mußten. Sehr zur Freude der überwiegend aus Frauen bestehenden Dorfbewohner, denn die Männer waren alle eingezogen worden. Wo immer Hilfe benötigt wurde, wie z. Bsp. beim Torfgraben, da war Opa zur Stelle. Torf abbauen war ein ganz großer Leistungsfaktor in der Dorfgemeinschaft, denn jeder wollte seine Familie im Winter mit Wärme versorgt wissen, und da war Torf und alles was brennbar war, eben sehr gefragt.
Nach dem Krieg, als alles sich wieder zum normalen Leben einrichtete, von da an war auch ich dabei, zuerst zwar noch winzig klein, aber später doch mit interessierten Blicken in die Umwelt, Grundlage dafür, daß aus frühester Kindheit ziemlich viel Details erinnert werden können.
In fast jedem 2. Haus in Klauhörn waren die Senioren der Familie im Alltag integriert, man lebte zusammen und wenn jetzt der Eindruck entsteht, daß die älteren Menschen überwiegend geduldet wurden, so war eher das Gegenteil der Fall.
Der Herr im Haus war der, der den Weg bestimmte, und das war ohne Ausnahme der Eigner.Kein anderer konnte damit gemeint sein als der Älteste der Familie. Das Recht des Älteren galt bis zu seinem Tod und wurde von allen respektiert.
So waren in unserer Straße gleich im Nachbarhaus auch drei Generationen ansässig. Ich kann mich sehr gut an den tollen Küchengarten, rechts neben dem alten Fachwerk-Haus erinnern, in dem es an der einen Seite Küchenkräuter sowie Stockbohnen, Zuckererbsen und andere Gemüsesorten gab; die andere Seite leuchtete im Sommer in den schönsten Farben und vor allem Dahlien und Gladiolen gab es dort reichlich. An der Hauswand hingen die aufgereihten Bohnen zum Trocknen.
An den Großvater dieser Nachbarfamilie erinnert mich das frischgeschnittene Brot , das von einem Apener Bäcker wöchentlich mit einem Verkaufswagen geliefert wurde.
In dem Haus der Nachbarn gab es eine uralte Brotmaschine und deren Bedienung oblag fast ausschließlich dem „Opa Fastje“ (vielleicht habe ich den Namen nicht ganz richtig geschrieben). Natürlich schnitt er auch das Brot mit dem Messer und wie auch immer er es hinbekam, die Scheiben waren so hauchdünn, man hätte fast hindurchsehen können. Jedes Mal, wenn jetzt der Wagen mit dem frischen Brot ankam, dann gab es dieses frisch geschnittene Brot. Hauchdünnes Schwarzbrot mit dicker Butter und viel Zucker obendrauf und wir alle, die Kinder der Eichenstraße, haben schon mal diese Köstlichkeit probieren dürfen, immer mal wieder.
Ich habe nie wieder den gleichen Wohl-Geschmack empfunden, nie wieder so sorgenlos das Brot meiner Kindheit gegessen.
Das alte Fachwerkhaus wurde schon bald aberissen . Auf dem Grundstück entstand ein neues Gebäude, das aber voll dem Umriß des alten Hauses angepaßt war. Auch dieses Haus ist heute längst neueren Bauten gewichen.
Es gehörte schon eine Menge dazu , um auf dem Sandboden etwas Erfolgversprechenders anzupflanzen. So war ich fast überrascht, als meine Erdbeerpflanzen hinter dem Haus die ersten Früchte trugen. Ein paar Erdbeeren erntete ich jeden Morgen, aber ich sah auch, daß einige der Früchte einfach von Strauch abgefressen waren. Tag für Tag und ich konnte mir keinen Reim daraus machen, wer der Räuber war.
Also mußte ich wohl oder übel frühmorgens die Lauscher-Position einnehmen. Ich hätte schon fast aufgegeben, aber siehe da, wer kam da angetrottet?
Unser Hund Rex war ein Münsterländer und denen sagt man bekanntlich Einiges an Intelligenz nach.
Schnurstracks ging er zum Erdbeerbeet und "erntete", bevor der erste Frühtau gewichen war.

Da man als Dorfbewohner ziemlich dicht mit den Grundstücken an der Straße lag, gab es keine Eigenschaft, die den Nachbarn untereinander fremd waren.
Mein Opa hatte neben seinen handwerklichen Fähigkeiten wie Schaukeln und Hütten bauen sowie Tabakblätter aufreihen und trocknen, eine Gabe, die wohl eher aus einer Not heraus entstand. Aus der Not eine Tugend machen, so sagt man doch. Entweder hatte es noch keine vernünftigen Fahrräder gegeben damals, als Opa jung war(geboren 1879), oder aber seine Eltern hatten nicht das nötige Geld dafür gehabt. Jedenfalls lernte Opa nie Fahrradfahren und lief überall zu Fuß hin. Ihm war kein Weg zu weit und ganz oft, als ich später etwas älter war, da nahm er mich mit, zum Einkaufen nach Apen und Augustfehn II.
Wenn meine kleinen Füße nicht mehr wollten, dann hat er mich auch schon mal getragen. So lernte ich eine Menge Leute auf diesen Wegen kennen, vielmehr lernten sie wohl eher mich kennen, denn die ganzen Eindrücke und Namen konnte ich gar nicht alle verarbeiten. Ich erinnere mich ganz konkret an zwei Menschen, die in Richtung Apen wohnten und Freudenthal hießen. Sie hatten so schöne und vor allem viele Äpfel ,sie schmeckten so gut. Davon bekam ich immer einen, jedes Mal wenn Opa auf einen Plausch dort einkehrte.Sie lebten sehr bescheiden und zurückgezogen, die beiden älteren Leute, aber schon als Kind habe ich bemerkt, wie liebevoll sie miteinander umgingen. Das hat mich beeindruckt, deshalb habe ich es wohl auch so lange gespeichert.
Ich habe auch oft erlebt, daß Opa unterwegs spontan anhielt wenn er bestimmte Äste entdeckte, die zum Schnitzen einer Flöte passen konnte. Das ging total schnell bei ihm, ich könnte nicht ganz genau mehr den Ablauf schildern, aber am Ende ergab es ein Gerät, mit dem man richtige Pfeiftöne erzeugen konnte, wenn man sich Mühe gab. Aber irgendwie klappte das immer, ich glaube, es waren Weiden, aus denen man die Flöten machen konnte, aber genau weiß ich es nicht mehr.
Die kleine Landstelle, die in Klauhörn betrieben wurde, ließ sich gut und gerne von ein paar Menschen allein bewerkstelligen und brachte mit Sicherheit nicht genug Einnahmen für alle, die dort lebten, zum Lebensunterhalt ein.
So hatte Opa, wie viele andere, seine Haupteinnahmen aus einer Dienstleistung in der Augustfehner Eisenhütte. Dort, so hörte man später noch, war die Arbeit hart, heiß und schmutzig.
Opa , wie immer nur zu Fuß unterwegs, erreichte seinen Arbeitsplatz in Augustfehn nach 7 – 8 km Fußmarsch. Das Ganze ging Abends ebenso wieder zurück. Tag für Tag , die ganze Woche , und die hatte damals volle 6 Tage.
Ich bewundere unsere Vorfahren, aber ich beneide sie keineswegs um ihre Lebensweise.
Gerne würde ich noch mal durch ein Fenster in dieses Leben schauen, aber zurück würde ich nicht wirklich wollen. Zu sehr würde man, wir alle, den Luxus von heute vermissen.
Abgesehen von dem fast ausschließlich einsamen Ziel vor Augen, eine "Arbeiten- um zu Leben-Welt" zu führen und zu finanzieren, gab es eben nur das, was man aus den sehr begrenzten Mitteln, die damals vorhanden waren, selbst erschaffen konnte.
Trotzdem war es auch meine Welt und ich blicke oft und gerne zurück auf meine Kindheit und Jugend auf dem Lande.

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