Montag, 01. Juni 2015, 21:17 Uhr
Kindheitserinnerung

Vom Dörfchen Klauhörn nach Nordkirchen

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Ich muß immer an meinen Aufenthalt in der Heilstätte in Nordkirchen denken , damals 1951, wenn ich sehe wie es heute in den Krankenhäusern gehandhabt wird. Damit die kleinen Seelen den Aufenthalt besser verkraften können, ist für Angehörige auch ein Bett vorbereitet.

Apen / Westerstede Seit nunmehr 70 Jahren ist der 2. Weltkrieg zu Ende und diejenigen, die als Kind den langsamen wirtschaftlichen Wiederaufbau miterlebten, die haben in der Tat eine Menge zu erzählen, denn es gab in allen Bereichen soviel Neues, manchmal auch Beängstigendes.
Alles was in den ersten Nachkriegsjahren passierte, war grundlegend immer noch mit dem Krieg in Verbindung zu bringen.
Viele Kinder erkrankten aufgrund von Mangelernährung; sie wurden in Krankenhäusern und Erholungsheimen wieder aufgepäppelt. Wieder andere sollten ihre gesundheitliche Stabilität auffrischen, indem sie für eine Kinderverschickung ausgesucht wurden, manchmal sogar in die Niederlande.
Meine überstandene Krankheit sollte einen endgültigen Heilungs-Erfolg in einer Kinderheilstätte in der Nähe von Münster zum Abschluß haben.
Da wir ja in Klauhörn wohnten, fuhr meine Mutter mit mir im Zug von dem damaligen Bahnhof in Apen in Richtung Münster, d. h. unser Haltepunkt war Capelle im Kreis Lüdinghausen, wo wir abgeholt werden sollten. Ich war 6 Jahre alt und ich hatte soviel Angst vor dem neuen Aufenthalt, denn ich sollte mindestens ein Vierteljahr dort verbringen, alleine natürlich.
In der Ortschaft Capelle war der Abholbus bereits am Bahnhof und zwei Ordensschwestern empfingen uns freundlich. Nur hatte ich solche Schwestern in ihren Habits noch nie in meinem Leben gesehen und brach in Tränen aus.
Wir kamen nach einer kurzen Zeit in dem Ort Nordkirchen an, wo sich das Kinderheim befand, daneben ein Krankenhaus, falls Kinder krank wurden.
Die Ankunft war eine Katastrophe, ich schlug mir das Knie auf, weil ich vor lauter Weinen eine Stufe übersehen hatte und über die Wegnahme meiner großen Puppe ließ ich mich lange nicht hinwegtrösten.
Ich muß immer daran denken, wenn ich sehe wie es heute in den Krankenhäusern gehandhabt wird. Die Eltern können ihre Kinder begleiten, damit ihre kleinen Seelen den Aufenthalt besser verkraften können.
Das war früher alles sehr viel anders , aber irgendwie war es auch machbar.
Nordkirchen hatte auch damals schon das Schloß als Anziehungspunkt in der näheren Umgebung, natürlich hatte es nicht das Aussehen von heute, es sah eher etwas vernachlässigt aus, aber das bemerkte ich natürlich nicht in dem Alter.Immer schon wurde es als "Klein Versailles" tituliert und ich finde, daß es eine durchaus greifende Bezeichnung ist, heute mehr denn je.
Aus meinem Vierteljahr wurde fast ein ganzes Jahr, da bedingt durch die wieder ausgebrochene Krankheit nicht das Erholungsheim, sondern zum größten Teil das Krankenhaus mein Aufenthaltsort war. Auch dort habe ich zum ersten Mal eine Ärztin gesehen, bei uns auf dem Land hatten wir ausschließlich Ärzte, die sogar über Land fuhren, um die Patienten zu behandeln. Ein Arzt mußte einfach ein Mann sein, so dachte ich damals, aber auch mit dieser Neuerung wurde ich irgendwann ganz gut fertig.
Umgehen konnte ich weniger mit dem Heimweh, das mich phasenweise immer wieder überkam. Angehörige kamen nur alle sechs Wochen zu Besuch, so wollten es die Regeln. Wahrscheinlich weil das Heimweh immer wieder eine große Rolle spielte und die Genesung beeinflußte.
Irgendwie habe ich mit einem guten Trick mein Heimweh in den Griff bekommen.
Wenn ich am offenen Fenster den nahen Kirchturm wahrnahm, dann war es für mich der Kirchturm von Westerstede; und Westerstede, das war ganz dicht bei meiner Familie. Meine Lieblings-Ordensschwester hatte es auf meine Frage hin auch oft schon bestätigt, ihr glaubte ich alles.

Irmelind hieß die junge Ordensschwester , die natürlich unter einem anderen Namen geboren wurde, sie kümmerte sich so rührend um alle Kinder und besonders um die kranken.
Sie hatte mir versprochen, daß ich bald wieder mit in die Andacht gehen könne, sobald ich das Ok der Ärztin habe.
Sie begleitete mich in die katholische Andacht und ich bekam eine Medaillon mit der Mutter Maria um den Hals gelegt , worüber ich glücklich war, obwohl ich zu Hause evangelisch aufwuchs. Und wenn bei Gewitter der Rosenkranz gebetet wurde, dann saß ich auf ihren Schoß.
Die gesunden Kinder veranstalteten Picknicks im nahen Park und besuchten die für mich faszinierende Schloßanlage mit den vielen Putten und Brunnen.
Die Aussicht, daß ich all das eines Tages auch würde mitmachen können, hat mir in der Zeit sehr viel Mut gemacht, und bald war ich auch selbst dabei, wenn die Nonnen sich mit uns Kindern zum Spielen und Wandern in die Umgebung aufmachten.
Immer wenn meine Mutter zu Besuch kam, dann konnte ich ihr all das zeigen was ich inzwischen kennengelernt hatte. Das anfängliche schlimme Gefühl war schon längst vergessen und die Zeit in Nordkirchen läßt sich auch heute noch mit vielen schönen Erinnerungen verbinden.
Für Unterhaltungsnachmittage, wo jedes Kind seine Fähigkeiten einbringen konnte, dafür war ich sehr zu haben, denn hier entstanden auch meine ersten kleinen Geschichten, die die Schwestern zu Papier brachten, denn selbst konnte ich noch nicht schreiben.
Es gab ein Klavier in einem großen Saal, darauf spielten die Kinder, die schon etwas älter waren, ihre erlernten Liedchen und ich liebte es ihnen zuzuhören.

Die Freude, meine Familie wiederzusehen, war groß als es dann , ungefähr nach einem Jahr Aufenthalt wieder in mein Heimatdorf zurückging. Aber ich vermißte auch meine neugewonnenen Bezugspersonen. Die Nonnen in Nordkirchen konnte ich lange Zeit nicht vergessen,und jetzt fiel es mir erstaunlicherweise sogar schwer, mich bei meiner Rückkehr wieder einzugewöhnen.

Ich hätte gerne noch mal gehört, was aus der Schwester, die den klangvollen Namen Irmelind trug, geworden ist, aber das hat sich nicht mehr ergeben.

Nordkirchen aber habe ich noch ein paar Mal besucht und erstaunt die wunderschöne, renovierte Schloßanlage besichtigt. Unzählige Schritte bin ich dort früher in Obhut der Nonnen gegangen, habe in der kleinen Kapelle im Ort meine Gebete gesprochen und den Duft von Weihrauch gerochen. Ich war damals schon überzeugt, daß Nordkirchen ein ganz besonderer Ort ist, in dem man Nächstenliebe ganz groß schreibt, für Kranke und für Menschen, denen es nicht so gut geht.

All' die schrecklichen Geschichten, die von Mißhandlungen und Gewalt während ähnlich gelagerter Aufenthalte erzählen, die kann ich aus meiner Sicht absolut nicht bestätigen.

Heute beherbergt das ehemalige Kinderheim geistig und körperlich behinderte Kinder und man tut alles dafür, daß sie sich wohlfühlen können.

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