Ötztaler Radmarathon - Ein Erfahrungsbericht
Klaus Fehn berichtet von seinen Erfahrungen beim Ötztaler Radmarathon.
Edewecht / Sölden
Erfahrungsbericht von Klaus Fehn zum 36. Ötztaler Radmarathon 2016
Seit ungefähr 5 Jahren beschäftige ich mich mit dem Ötztaler Radmarathon, seiner Historie, die darum entstandenen Geschichten und natürlich dem Streckenprofil von 238 km und 5500 Höhenmetern. Wenn man sich derart mit einem Ereignis identifiziert, will man natürlich auch diese unglaubliche Herausforderung selber einmal annehmen. Nun ist es nicht so einfach sich dieser Aufgabe zu stellen, da das Teilnehmerfeld auf 5000 Teilnehmer begrenzt wird und bei gut 25.000 Anmeldungen das Starterfeld im Losverfahren ermittelt wird. Die ersten drei Jahre hatte sich die Losfee andere Sportler ausgesucht, so dass ich erst im vierten Anlauf (im Jahr 2015) den ersehnten Startplatz beim 35. Ötztaler Radmarathon ergatterte. Um eine solche Anforderung auch erfolgreich bestehen zu können, hatte ich in den letzten 2 Jahren mein Gewicht von 112 kg auf 94 kg reduziert. Nach guter Vorbereitung 2015, 5.000 gefahrene Trainingskilometer im Gepäck und voller Euphorie, startete ich auf nach Sölden-Österreich um mich der Herausforderung zu stellen. Nach dem dritten von vier Bergen musste ich mir allerdings eingestehen, dass 94 kg auf den Hüften, sowie 53 Jahre auf dem Buckel, nicht das optimale Profil eines Radrennfahrers ist, der den Ötztaler Radmarathon bezwingen will. Die Zeitvorgabe konnte ich am Jaufenpass nicht erfüllen. Ich wurde, wie ca. 1000 andere auch, aus dem Rennen genommen und mit dem Besenwagen zurück nach Sölden gefahren.
2016 sollte alles anders werden. Ich war zwar nicht jünger geworden, hatte aber nochmals 4 kg abgenommen und wollte mir meinen Traum mindestens einmal erfüllen. Diese Strecke mit diesem schweren Profil bezwungen zu haben, muss ein unglaubliches Gefühl sein, welches man sich für kein Geld der Welt kaufen kann.
Trotz Pech bei der Verlosung bekam ich noch einen Startplatz beim 36. Ötztaler Radmarathon. Die Vorbereitung lief alles andere als optimal, da ich aus gesundheitlichen Gründen 3 Monate pausieren musste. Ich versuchte noch irgendwie auf 5000 Trainingskilometer zu kommen und intensivierte auch noch mein Bergtraining. Da ich einen Teil der Strecke nun kannte, war ich mir fast sicher bei der holprigen Vorbereitung es wieder nicht zu schaffen, wollte aber so weit fahren wie möglich.
Der Startschuss erfolgte um 06:45 Uhr. Die ersten 32 km ging es leicht abschüssig bis nach Ötz, hier wurden Geschwindigkeiten bis 75 km/h erreicht. Bei 5000 Startern ist hier höchste Konzentration, wie allerdings auch bei allen anderen Abfahrten, gefordert. Danach folgte der 18,5 km lange Anstieg mit bis zu 18 prozentiger Steigung zum Kühtai. Hier lief es vom Gefühl her für mich wesentlich besser als letztes Jahr. Ich konnte die Geschwindigkeit des Feldes gut mitfahren, die nochmalige Gewichtsreduktion machte sich hier bezahlt. Leider erwischte mich die Defekthexe kurz vorm Gipfel (Reifenschaden) und ich verlor gute 20 Minuten bei der Reparatur. Für Jemanden der gegenüber dem letzten Jahr 30 Minuten aufholen musste und dann nochmal 20 Minuten draufgepackt bekommt, war das schon ein mittelschwerer Dämpfer. Mit einer Menge Respekt aber auch Entschlossenheit ging es in die 15km lange Abfahrt, bei der Geschwindigkeiten bis 100 km/h erreicht wurden. Im Anschluss ging es weiter durch Innsbruck, wo etliche Zuschauer am Straßenrand die Akteure anfeuerten. Hier konnte ich, wie auch im anschließenden 39 km langen Anstieg, wieder gut im Feld mitfahren. Da es aber für den Brenner und auch für den anschließenden Jaufenpass jeweils eine Zeitvorgabe gab, die es einzuhalten galt, wurde es aufgrund des Reifenschadens nochmals wieder eng für mich. Konnte ich die Zeitvorgabe für den Brenner noch gut einhalten, war ich mir im Klaren, dass es bei der Vorgabe für den Jaufenpass auf jede Minute ankommt. Nach der 19km langen Abfahrt vom Brenner, ging es auch gleich in den 16 km langen Anstieg zum Jaufenpass. Hier erwarteten uns Steigungen bis 12%. Wie voraus gesagt erreichte ich den Gipfel des Jaufenpasses 2 Minuten vor Ablauf des Zeitfensters. Körperlich hatte ich nun alles gegeben und hoffte mich in der folgenden 22km langen Abfahrt etwas zu erholen. Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt, erfüllt sich aber leider nicht immer. Wie auch in meinem Fall. Nach gefahrenen 183km und drei Bergen war ich kräftemäßig am Ende. Der Kopf konnte sich nicht vorstellen, der Körper wollte nicht mehr, in den letzten Anstieg hoch zum Timmelssjoch, 28km bei bis zu 14% Steigungen, fahren. Einzig ein Gedanke trieb die Pedale noch nach vorne, es ist doch nur noch ein Berg, der letzte. Aber wie gesagt wenn alles am Körper weh tut, die Sonne im Anstieg eine Temperatur von guten 35 Grad erzeugt, gefühlte 45 Grad, wird es schwer Körper und Geist zu überzeugen weiter zu fahren. Ich teilte mir den Anstieg in Teilstücke ein um nicht das große Ganze als unüberwindbar zu sehen. Sondern versuchte erstmal nur diesen Abschnitt zu fahren, um mir danach wieder ein neues Ziel zu setzen. So wurden aus dem großen Ganzen viele kleine Erfolge, die zum großen Erfolg führen sollten. Auch für das Timmelsjoch gab es eine Zeitvorgabe. Alle Fahrer die nicht bis 19:30 Uhr am Gipfel sind werden disqualifiziert. Eine Vorsichtsmaßnahme, weil die anschließende Abfahrt im Dunkeln zu gefährlich wird. Irgendwie schaffte ich es bis zur letzten Verpflegungsstation und ab da wurde mir bewusst, dass ich es dieses Jahr schaffen würde. Jetzt waren es nur noch 4 km bis zum Gipfel. Das Zeitfenster für mich war gut, es würde tatsächlich reichen. Die letzten 4 km bis zum Gipfel gibt man nicht mehr auf! In diesem Moment kam das erste Mal so etwas wie ein Glücksgefühl auf. Am Gipfel angekommen hatte ich noch 30 Minuten Vorsprung vor dem Besenwagen. Ich stellte mein Rennrad beiseite und genoss den Augenblick, der voller Emotionen war. Jetzt war es tatsächlich da, das Gefühl, welches man sich für kein Geld der Welt kaufen kann. Unbegreiflich, ich hatte es geschafft! Vier Stunden zurück hätte ich mir diesen Augenblick nicht vorstellen können.
Jetzt musste ich noch 35 km bergab bis ins Ziel fahren. Die Abfahrt wurde leider nochmal durch ein aufkommendes Gewitter mit Platzregen und Temperatursturz, die Temperatur fiel bis unter 5 Grad, dramatisch. Mit gewaltigen Blitzen wurde die Abfahrt zu einem wahren Abenteuer.
Da war es endlich!
Das Ortsschild Sölden und die Zieleinfahrt.
Obwohl es fürchterlich regnete, mir das Wasser aus den Schuhen lief, standen im Ziel die Zuschauer seid Stunden und feierten jeden einzelnen Fahrer, der das Ziel erreichte. Nach 13 Stunden und 10 Minuten war mein Traum Wirklichkeit. Dieses Gefühl lässt sich nicht beschreiben, man muss es einfach selber erlebt haben.
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