Die Zeit heilt nicht immer alle Wunden
Die Furcht von damals ist nur verdrängt – und kann das Alter überschatten Fortbildungsreihe und Workshop zum Thema >Alter und Trauma< durch den Palliativstützpunkt Ammerland & Uplengen und den Ambulanten Hospizdienst Ammerland e.V.
Westerstede / Apen / Bad Zwischenahn
„Es kann vorkommen, das ein älterer Mensch bei einem Gewitter unter
den Tisch flüchtet. Er hört nicht den Donner, sondern Bomben,“
beschreibt Frau Anke Lesner ein Beispiel für eine mögliche Situation,
die bei älteren Menschen Kriegstraumata aufbreche. „Mit dem Alter
können schmerzhafte Erinnerungen und Ängste aus der Vergangenheit
auftreten,“ erklärt die Referentin. Sie ist Diplom-Pädagogin und
Fachberaterin für Psychotraumatologie aus Bielefeld. Eingeladen wurde
sie für die regelmäßig stattfindende Fortbildungsreihe vom
Palliativstützpunkt Ammerland & Uplengen, gemeinsam mit dem
Ambulanten Hospizdienst Ammerland e.V.
Wer in den Jahren 1927 bis 1947 geboren wurde, ist ein Kriegskind.
Diese haben in ihrer Kindheit und Jugend schmerzliche Erfahrungen
machen müssen. Neben belastenden Erfahrungen im familiären und
sozialen Umfeld, können sie während des Zweiten Weltkrieges auch
Bombardierungen, Vergewaltigung, Misshandlung, Vertreibung,
Verluste oder Hunger erlebt haben. Viele waren gezwungen aus ihrer
Heimat zu fliehen. Und häufig kam es in dieser Zeit zu Übergriffen
gegenüber Mädchen und Frauen. Um das Erlebte mitzuteilen, fehlten
damals oft die Worte oder ein gegenüber, das zuhörte.
Während der Fortbildungsreihe wurden die Erzählungen einer älteren
Dame eingespielt, die davon authentisch berichtet, wie schwer es ihr
fällt, sich von einem männlichen Pfleger waschen zu lassen. Auch hier
liegt der Grund in der Vergangenheit. Während des Krieges hat sie
erleben müssen, wie verstört Frauen in ihrer Umgebung nach
Übergriffen durch Soldaten gewesen sind.
Pflegende stehen in Situationen, in denen sich ein älterer Mensch
widerspenstig oder ungewöhnlich verhält, häufig am Rande der
Überforderung und der Hilflosigkeit. Meist passiert dies bei
pflegebedürftigen Menschen bei denen traumatische Erinnerungen
aufbrechen und sie quälen. Manche Reaktionen sind oft schwer
einzuordnen und zu erkennen. Ehrenamtliche, pflegende Angehörige und
professionelle Mitarbeiter in der Pflege und Altenhilfe benötigen
Informationen und Verständnis über (Kriegs-) Traumata und diesen
Folgen.
Petra Kühn, Koordinatorin vom Ambulanten Hospizdienst bemerkt: „Ein
Trauma ist nicht aus dem Leben eines Menschen wegzulöschen und
durch verschieden Umbrüche – wie eine Pflegebedürftigkeit – oder die
Auseinandersetzung mit Themen wie Tod, Sterben oder Trauer, Ängste
auftreten.“ Es kann dazu kommen, dass frühere Erfahrungen der
Hilflosigkeit oder Ohnmacht die Furcht vor erneuten
Grenzüberschreitungen wecken. Meistens wissen die eigenen Familie
nichts von den traumatischen Erlebnissen ihrer Angehörigen, denn über
Ängste zu reden, „das war früher nicht in Mode“ oder es fehlten oft die
Worte und so hat man vieles für sich behalten und verdrängt. Oft ist es
für die Betroffenen sehr schwer bis unmöglich von ihren Erfahrungen zu
berichten. „Wichtig ist es, die alten Menschen nicht alleinzulassen,
wenn Ängste auftreten. Damals waren sie ja schon auf sich gestellt und
konnten sich niemanden anvertrauen,“ fasst Anke Lesner zusammen
„und man sollte Situationen vermeiden, die bekanntermaßen Furcht
auslösen.“
Bianca Thümler, Leitende Koordinatorin vom Palliativstützpunkt
Ammerland & Uplengen sagt: „Dieser Vortrag zeigt, dass die meisten
Vertriebenen und Flüchtlinge damals traumatisiert waren und dass das
Verschweigen dieser Erfahrungen nun zahlreiche Spätfolgen der
Tabuisierung, materielle, seelische und soziale hervor rufen kann. Mir ist
bewusst geworden, dass aktuell traumatisierte Menschen, die zum
Beispiel nach Deutschland geflohen sind oder auch durch das Ereignis in
Münster letzte Woche, die Möglichkeit bekommen sollten,
Unterstützung und Hilfe erfahren, um im Alter individuelle Ängste und
Nöte zu vermeiden“.
Leserkommentare (0)