Ein “Chinesen-Zopf” im Vareler Heimatmuseum
Wie gelangte der Haarzopf eines Chinesen nach Friesland?
Varel / Altjührden
Im Heimatmuseum am Neumarktplatz in Varel gibt es ein Objekt, das weitaus mehr symbolisiert, als man im ersten Moment denkt: Ein “Chinesen-Zopf” oder vielmehr “Mandschu-Zopf”. Die Mandschu beherrschten 1644 bis 1912 (Qing-Dynastie) über das chinesische Kaiserreich, nachdem sie die Ming-Dynastie (1368 bis 1644) unterworfen hatten. Sie zwangen die Chinesen ihre Bräuche zu übernehmen. So mussten diese den vorderen Teil des Kopfes kahl scheren und die hinteren Haare zu einem Zopf flechten. Wer sich weigerte, dem drohte der Tod: “Schneide deine Haare und behalte deinen Kopf oder behalte deine Haare und verliere deinen Kopf.” Mit der Zeit wurde das einstige Zeichen der Unterdrückung umgedeutet und wurde mit Stolz getragen: Die Zöpfe waren nun eng mit der Loyalität zu den Qing verknüpft. Westlich beziehungsweise christlich orientierte, sowie im Ausland lebende Chinesen schnitten sich hingegen ihren Zopf ab.
Doch wie gelangte ein solcher Zopf ins Heimatmuseum Varel? Im Jahr 1991 wurde dieser mit weiteren Objekte als Dauerleihgabe von dem von 1896 bis 2012 bestehendem Verein “Marinekameradschaft Varel” übergeben. Einige ihrer Mitglieder waren um die Jahrhundertwende im deutschen Pachtgebiet Kiautschou im heutigen China stationiert und unter anderem Teil der Besatzung der drei Schiffe S.M.S. Fürst Bismarck, S.M.S. Leipzig oder S.M.S Irene. Die Mannschaft der Irene war 1900 an der Niederschlagung des “Boxeraufstandes” in China beteiligt. Eine kleine Landungsabteilung unterstützte beispielsweise die letztlich erfolglose internationale Expedition von Admiral Seymour.
Der sogenannte “Boxeraufstand” (1899 bis 1901), war eine chinesische Bewegung gegen das Christentum und den europäischen, US-amerikanischen sowie japanischen Imperialismus. Um ihre Interessen in China zu verteidigen, schickte eine Allianz aus acht Nationen (Vereinigte Staaten, Japan, Frankreich, Königreich Italien, Russisches Reich, Deutsches Reich, Österreich-Ungarn und Vereinigtes Königreich) ihre Truppen nach China um diesen Aufstand niederzuschlagen. In Deutschland wurde propagiert: “Greift die Chinesen am Zopf” oder “Chin Chin Chinamann ist ein armer Tropf. Jeder beutelt ihn gar zu sehr am Schopf”.
Den “Boxern” wurde als Bestrafung und Demütigung der Zopf abgeschnitten. Sehr wahrscheinlich geschah dies ebenfalls bei toten Aufständigen. Auch zum Christentum konvertierte Chinesen wurden die Zöpfe abgetrennt. Die Allianz der acht Nationen konnte den Boxeraufstand erfolgreich niederschlagen und ihre Position stärken. Als Siegestrophäen gelangten die “Mandschu-Zöpfe” schließlich nach Deutschland.
Auch ein “Chinakrieger” aus Altjührden (heute Stadtteil von Varel) präsentierte im Jahr 1901 bei einem “Volks-Unterhaltungsabend” seine aus Asien mitgebrachten Gegenstände. Darunter war ein Zopf, zu dem nicht weiter erläutert wurde, ob er einem toten oder lebenden Chinesen entfernt worden war. Ob dieser “Chinesenzopf” derselbe Zopf ist, der ins Heimatmuseum gelangt ist, kann nicht sicher gesagt werden. Aber der Weg ins Museum wird ein ähnlicher gewesen sein: Ein Mitglied der Marinekameradschaft Varel hatte ihn aus seiner Soldatenzeit in China mitgebracht und schließlich dem Verein überlassen. Dass der Zopf aus der Zeit des “Boxeraufstandes” stammt, ist aufgrund anderer Erinnerungsstücke der ehemaligen Marinesoldaten sehr wahrscheinlich. Doch auch 1912 fielen in China erneut die Zöpfe, denn die meisten Chinesen hatten nach dem Ende der mandschurischen Qing-Dynastie, ihre selbst Zöpfe abgeschnitten.
Nachdem sich die Marinekameradschaft im Jahr 2012 auflöste, verblieb der Zopf im Heimatmuseum und wurde bis zum Abbau der bisherigen Dauerausstellung dort ausgestellt. Seine Geschichte wird auch in der für 2024 geplanten Neueröffnung des Museums erzählt werden.
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