Freitag, 06. März 2020, 20:20 Uhr
EVANGELISCH-REFORMIERT IN VAREL / POLITIK UND RELIGION

Der Reformator Huldrych Zwingli (1484 - 1531)

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In meinem biographischen Essay über den Pionier des evangelisch-reformierten Protestantismus Huldrych Zwingli gebe ich einen Einblick in sein Leben und Wirken. (Evangelisch-Reformiert in Varel 1)

FRIESLAND / AMMERLAND / OLDENBURG 1. Vorname

Zu Beginn ein Hinweis: Zwinglis Taufname lautet Ulrich. Im Laufe seines Lebens änderte er seinen Vornamen zu Huldrych.


2. Jugend

Huldrych Zwingli wurde am 01. Januar 1484 in Wildhaus (Toggenburg) im heutigen Kanton St. Gallen als drittes von neun Kindern geboren. Zunächst zogen seine Eltern (Johann Ulrich Zwingli (1454 – 1513) und Margaretha Bruggmann (um 1458 – 1519)) ihn hier auf, wo sein Vater den Posten eines Ammann ausübte. Durch seinen Vater hat Zwingli gelernt, politische Verantwortung für das Gemeinwesen zu übernehmen.

Zwinglis Vater war ein recht vermögender Bauer und konnte seinem Sohn so eine gute Bildung finanzieren. Um dem jungen Zwingli Lateinunterricht zu ermöglichen, schickten ihn die Eltern 1490 mit sechs Jahren zu seinem Onkel, dem Dekan Bartholomäus Zwingli in Weesen am Walensee. Endgültig verließ Zwingli sein Elternhaus im Jahre 1494 mit zehn Jahren, als er zunächst in Basel und später in Bern die Lateinschule besuchte. Wegen seiner großen Musikalität hätten ihn dort die Dominikaner gern in ihr Kloster aufgenommen. Auf Druck der Eltern aber ging er 1498 nach Wien zur Universität und wechselte 1502 an die Universität Basel. Hier begann sein eigentliches Studium der Theologie, welches er 1506 mit dem Titel „Magister Artium“ abschloss.

Im September 1506 fand Zwinglis Priesterweihe statt. Danach wurde er als „Kirchherr“ zum leitenden Priester in Glarus im heutigen Kanton Glarus gewählt. Der ehrgeizige und gebildete Zwingli war ein treuer Diener Roms.


3. Zeit in Glarus

Zwingli übte seinen Posten als leitender Priester engagiert, gewissenhaft und der Bevölkerung zugewandt aus.

In den Glarner Jahren bildete sich Zwingli intensiv fort. Mit großem Eifer studierte er viele Werke der antiken Klassiker und der Kirchenväter.

Eine besondere Beziehung entwickelte Zwingli zum Werk des Erasmus von Rotterdam (1466 oder 1469 – 1536). Es faszinierte ihn. Zwingli wurde zum Fan des Erasmus. Insbesondere eine Position des Erasmus leuchtete ihm ein: Der Mensch kann aus sich heraus das Gute hervorbringen. Dieser muss sich nur genügend anstrengen.

Zu seinem Tätigkeitsbereich gehörte auch, als Feldprediger der Glarner Reisläufer (= der Glarner Söldner) an den Feldzügen der Italienischen Kriege (1512 – 1515) für den Papst gegen Frankreich in der Lombardei teilzunehmen. Seine Tätigkeit als Militärseelsorger veränderten ihn.

Das Reislaufen hatte zu dieser Zeit eine ebenso große Bedeutung wie das Bankwesen heute für die Schweiz. Es war ein Phänomen, dass die ganze Alte Eidgenossenschaft (um 1291 – 1798) sehr stark geprägt hat; die ganze Ökonomie, die Pensionen. Die Söldner kamen krank und meist invalid zurück und führten fremde Sitten und Krankheiten ein. Das Reislaufen ist ein großes soziales und sozialpolitisches Problem gewesen.

Einschneidend für Zwingli war insbesondere die schreckliche Erfahrung der Schlacht von Marignano im Jahre 1515. In Marignano sind in zwei Tagen 5000 Menschen gestorben; das ist etwa die ganze Bevölkerung des damaligen Zürich gewesen. Das war aus der Sicht Zwinglis ein Massenmord, welcher diesen erschütterte. Daraus folgte für ihn: Nein! Kein Reislaufen für fremde Mächte. – Nein! Kein Eidgenosse darf sich mehr als Söldner verdingen.

Zwingli hat später eine genaue Angabe gegeben, wann für ihn die große reformatorische Wende war – nämlich 1515/1516. 1515 fing er selber an, im Neuen Testament zu lesen. Beim Lesen merkte Zwingli, er muss dranbleiben mit dem Lesen, zunächst für sich persönlich. 1516 begann Zwingli, nach dem Neuen Testament zu predigen; nicht über irgendwelche Themen, sondern nach biblischen Texten. Nach seiner Auffassung war die reformatorische Wende seine Entdeckung des Neuen Testaments.


4. Kloster Maria Einsiedeln

1516 wird Zwingli Pfarrer in dem durch Wallfahrten berühmten Kloster Maria Einsiedeln. Angesichts der dortigen Missbräuche der Volksfrömmigkeit begann er gegen Wallfahrten, falsche Anbetungen und den Ablasshandel zu predigen. Alles, was nicht in der EINEN BIBEL wiederzufinden war, verwarf er. Zusätzlich agierte Zwingli gegen das Reislaufen.

Damit machte Zwingli sich nicht nur Freunde. Die Einnahmen des Klosters sanken beträchtlich. Manchem schmeckte es nicht, dass sie ihre Wallfahrt umsonst gemacht haben sollten.


5. Erste Zeit in Zürich

Da der Rat der Stadt Zürich wie Zwingli gegen das Reislaufen war, verschaffte ihm diese Haltung das einflussreiche Amt als Leutpriester am Grossmünsterstift in Zürich. Zwingli trat am 01. Januar 1519 seine neue Stelle an.

Er traf von Anfang an eine ganz auffallende Entscheidung: Zwingli fing an, in deutscher Sprache zu predigen über das Evangelium nach Matthäus 1 Vers 1 und fuhr einfach fort, dem Evangelium nach Matthäus nach zu predigen. Jeden Tag legte er fortlaufend dieses Evangelium aus. Dabei brach Zwingli zum Reformator durch; er ist durch seine eigene Bibelauslegung zum Reformator geworden. Zwingli verstand, dass Frauen wie Männer allein durch das Erlösungswerk des Juden Jesus gerettet werden können. - Hier, am 01. Januar 1519, liegt der Beginn der zwinglianischen Reformation und damit der Beginn der Geschichte des evangelisch-reformierten Protestantismus.

Danach las Zwingli die Schriften Martin Luthers (1483 – 1546). In dessen Schriften fand er die Lehre wieder, welche Zwingli unabhängig von Luther entdeckt hatte. Folgerichtig betonte Zwingli immer wieder: Ich bin selber durch die Auslegung der EINEN BIBEL zu dieser Erkenntnis gelangt wie Luther in seinen Schriften. Zwingli betonte immer seine Selbstständigkeit gegenüber Luther.

Doch kurze Zeit nach Beginn seiner Tätigkeit in Zürich wütete der Schwarze Tod, die Pest, in der Stadt. Ein Drittel der Stadtbevölkerung von 7000 Einwohnerinnen und Einwohnern starb. Als Leutpriester durfte Zwingli seine Gemeinde trotz Ansteckungsgefahr nicht verlassen. Er half, wo er nur konnte, stand den oft allein gelassenen Kranken und Sterbenden bei und erkrankte selbst an der Pest. Nachdem Zwingli wochenlang in Lebensgefahr schwebte, wurde er wieder gesund. Zwingli empfand das als Gnade des EINEN GOTTES und verarbeitete diese Erfahrung im „Pestlied“ (1520).

Diese Erfahrung der eigenen Ohnmacht und das Elend, welches er sah, gab der Erneuerung der Kirche noch einen wichtigen Impuls. Mit der EINEN BIBEL als alleingültigem Maßstab begann Zwingli gegen alles in seinen Augen nicht biblische zu predigen. Dieser lehnte die Verehrung von Bildern, Reliquien und Heiligen ab. Zwingli sprach sich gegen das Zölibat und die Eucharistie aus.

Zum ersten großen Eklat kam es, als mit einem Wurstessen im Haus des Druckers Christoph Froschauer (um 1490 – 1564) in Gegenwart Zwinglis das Fastengebot übertreten wurde. Zwingli selbst hat nicht mitgegessen. Aber er hat durch seine Schrift „Die freie Wahl der Speisen“ (1522) gezeigt, dass es nicht auf Äußerlichkeiten ankommt. Frauen wie Männer werden also vor dem EINEN GOTT nicht angenehm und gerecht, wenn solche kirchlichen Speisegebote eingehalten werden. Es geht ganz grundsätzlich um die Fragen „Inwieweit sind die Gesetze der Kirche verbindlich?“ und „Inwieweit sind die Gesetze der EINEN BIBEL verbindlich?“.

Zwingli setzte mit seiner Reaktion auf diesen Tabubruch ein klares Zeichen: Die EINE BIBEL war für ihn die absolute Autorität.

So rüttelte Zwingli an der bisherigen Ordnung, entlarvte frommen Schein und verdarb Geschäfte. Die nach Selbstbestimmung strebende Bürgerschaft stand hinter ihm, ebenso die Mehrheit der Landbevölkerung. Zu ihr predigte Zwingli auf dem Bauernmarkt am Fraumünster und schaffte Hoffnung auf ein besseres Leben im Diesseits.


6. Wesen Zwinglis

Zwingli ist ein hochgebildeter Mann gewesen. Er kannte die Werke aller antiken Philosophen. Das genossenschaftliche Denken war tief in ihm verankert. Er wollte das ganze Volk als Gemeinschaft retten.

Nach der EINEN BIBEL zu glauben und zu leben, bedeutete folglich für ihn, diese als gesellschaftsverändernde Kraft zu begreifen. Das Reich des EINEN GOTTES soll sich bereits im Hier und Jetzt zeigen. Zwingli fühlte sich in der Tradition der vom EINEN GOTT berufenen Prophetinnen und Propheten der EINEN BIBEL stehend und bezog sein Prophetenamt auf die Alte Eidgenossenschaft.

Zwingli war auch ein sehr humorvoller, selbstironischer Mensch, was ihn stark von den Reformatoren Johannes Calvin (1509 – 1564) und Martin Luther (1483 – 1546) unterschied. Sein Ziel ist es nicht gewesen, die Katholikinnen und Katholiken mit Gewalt zu bekehren. Zwingli wollte, dass die reformatorischen Kernbotschaften überall in der Alten Eidgenossenschaft gepredigt werden durften. In der Innerschweiz jedoch wurden reformatorische Prediger umgehend hingerichtet, wenn diese von den dortigen Verantwortlichen erwischt wurden.


7. Erste Zürcher Disputation

Zwinglis Äußerungen erregten den Zorn Papst Hadrians VI. (1522 – 1523), der ihm Kanzelverbot erteilte und den Rat der Stadt Zürich aufforderte, diesen als Ketzer zu ächten. Zwingli lies das nicht so stehen. Er wollte sich verteidigen und erklären, was er mache. Als Diskussionsgrundlage schrieb dieser 67 Schlussreden auf und sorgte für deren Verteilung.

Auf der Basis der 67 Schlussreden lud der Rat der Stadt Zürich alle Theologen, die Zwingli der Ketzerei überführen könnten, für den 29. Januar 1523 zur Ersten Zürcher Disputation ein. Etwa 600 geistliche und weltliche Personen fanden sich dazu in Zürich ein. Es durfte ausschließlich von der EINEN BIBEL her argumentiert werden.

Die Erste Zürcher Disputation am 29. Januar 1523 war keine Diskussion unter Gelehrten in Latein sondern vielmehr eine Aussprache über die 67 Schlussreden. Auch die Bürgerinnen und Bürger durften erscheinen, Fragen stellen und Position beziehen. Die Frage war, ob die 67 Schlussreden Zwinglis mit der EINEN BIBEL in Übereinstimmung stehen. Es lagen Exemplare der EINEN BIBEL in hebräischer, griechischer, lateinischer und deutscher Sprache aus.

Am Ende befand der Rat: Der Inhalt der 67 Schlussreden steht in Übereinstimmung mit der EINEN BIBEL. Zwingli durfte in diesem Sinne seine Arbeit fortsetzen.


8. Ehe und Soziales

Die Erste Zürcher Disputation hatte der Rat der Stadt Zürich einberufen, welcher Zwingli mit seinen reformatorischen Plänen unterstützte. Das ist nicht weiter verwunderlich gewesen.

Ganz wichtig für die Beziehung zwischen Zwingli und dem Rat war die Tendenz nach einer stärkeren Behauptung der Autorität des Staates. Dies ist seit dem Ende des 15. Jahrhunderts zu beobachten. Mit der Abschaffung des sakramentalen Charakters der Ehe wurde die Ehe zu einem rein bürgerlichen Verfahren. Eine der ersten reformatorischen Maßnahmen, die in Zürich getroffen wurden, war die Schaffung eines Ehegerichts.

Das Ehegericht wachte über die Ehen der Gemeindeglieder. Es befasste sich mit Streitschlichtungen, Fragen der Kindererziehung oder der ehelichen Treue.

Das ganze Mittelalter kannte ausschließlich die kirchliche Fürsorge. Die Kranken, die Betagten oder die Arbeitslosen betreute die Kirche. Das war ein Problem für den modernen Staat. Die Kirche ist so tief involviert gewesen, da die Werkgerechtigkeit eine große Rolle spielte. Almosen geben galt als heilsbringende Handlung. Sobald dieser Charakter verschwindet und einfach die rationale Handlung im Vordergrund steht, ist die Rolle der Kirche begrenzt.


9. Zweite und Dritte Zürcher Disputation

Vom 26. bis 28. Oktober 1523 fand die Zweite Zürcher Disputation statt. In der Gegenwart von etwa 900 Gästen aus eidgenössischen Orten stritten die Teilnehmenden über Bilderverehrung und die Messe. Grund für diese weitere Disputation war das Agieren Zwinglis und seiner Mitarbeiter gegen Bilderverehrung. Am Ende dieser Disputation beschloss der Rat die Entfernung der Bilder aus den Kirchen innerhalb eines halben Jahres. So konnte die Bevölkerung durch weitere Predigten auf diesen Einschnitt vorbereitet werden.

Am 13. und 14. Januar 1524 wurde mit alt gläubigen Chorherren auf der Dritten Zürcher Disputation über die Messe gerungen. Am Ende beschloss der Rat die Abschaffung der Messe und die Einführung des Predigtgottesdienstes verbunden mit dem evangelischen Abendmahl. Es wurde erwartet, dass vor dem Gang zum Abendmahl um die Vergebung der Sünden gebetet wird.


10. Abtei Fraumünster

Seit langem lagen Stadtrechte und Besitztümer bei der Abtei Fraumünster. Deren Äbtissin Katharina von Zimmern (1478 – 1547) löste in der heißen Phase der Reformation Ende 1524 ihr Kloster auf und übergab es samt Rechten der Stadt Zürich. In der Übergabeurkunde betonte sie, sie habe ohne Zwang entschieden, die Zeit sei reif. So rettete sie Zürich vor einem Bürgerkrieg und sicherte das Bestehen der Reformation.


11. Zwinglis Eheschließung

Am 02. April 1524 setzte Zwingli ein weiteres Ausrufezeichen mit seiner Hochzeit mit Anna Reinhard (um 1484 – 1538) und legalisierte damit eine schon länger bestehende Beziehung. Anna Reinhard war die Witwe eines niedrigen Adligen. Beide verband eine intensive Liebe. Es war unerhört, dass ein römisch-katholischer Priester öffentlich heiratet. Üblich ist das Konkubinat nach Zahlung einer Strafe an den Bischoff gewesen. Bei der Trauung war Anna Reinhard hochschwanger. Zwingli hatte mit ihr vier Kinder: Regula (geb. 1524), Wilhelm (geb. 1526), Huldrich (geb. 1528) und Anna (geb. 1530). Anna Reinhard kam nicht aus dem Kloster; sie war die Tochter eines Gastwirts. Mit der öffentlichen Heirat demonstrierte Zwingli seinen Bruch mit Rom.


12. Reformation in Zürich

Wie schon angedeutet, betraf die Reformation in Zürich nicht nur die Religion. Der Rat ordnete nicht nur das Eherecht, sondern auch Kirchen-, Schul- und Sittenrecht. Zwingli selbst übte kein politisches Amt aus. In seiner Funktion als Ratgeber des Rates hatte dieser aber großen Einfluss. Die Bevölkerung hörte auf Zwinglis Predigten.

Eigentlich wollte der Rat der Stadt Zürich nichts überstürzen. Letztendlich jedoch ist die Reformation innerhalb von zwei Jahren bis 1525 verwirklicht worden.

Bilder, Klöster, Messen und Zwangszölibat waren abgeschafft. Es gab eine geregelte Armenfürsorge. Diese finanzierte sich aus Geldern, die durch die Säkularisation der Klöster und geistlichen Stiftungen im Bereich Zürichs frei wurden.

Die Schulen gingen in die Hand Zürichs über. Diese durften nicht nur einer Elite dienen. Jedes Kind sollte zur Schule gehen können.

Ebenfalls 1525 wurde das bisherige Chorherrenstift Großmünster in die Propstei am Großmünster umgewandelt, um die Ausbildung weiterer reformierter Theologen sicherzustellen. Diese mussten Kenntnisse der Auslegung der EINEN BIBEL erlernen und die gewonnenen Ergebnisse in deutschen Predigten dem Volk vortragen. So wurden die Theologen geschult, und die Bevölkerung erhielt bessere Kenntnisse über die Inhalte der EINEN BIBEL. Auch leitete die Einrichtung die Pfarrer dazu an, evangelische Beerdigungen, Hochzeiten oder Taufen richtig durchzuführen.

Der Stadtrat Zürichs war die oberste Kirchenleitung. Zwingli koordinierte und moderierte die Zürcher Kirche.


13. Täufer

In der Umsetzung der Reformation blieb es nicht aus, dass es zu, aus heutiger Sicht, fatalen Entscheidungen kam, wie bei den Täufern.

Die Täufer stammten zum größten Teil aus den treuesten Anhängern Zwinglis. Plötzlich sahen diese einen anderen Weg. Die Kontoverse umfasste die Frage, ob Christinnen und Christen in der Gesellschaft tätig sein müssen.

Die Täufer vertraten die Auffassung, dass Christen keine öffentlichen Ämter annehmen und keinen Kriegsdienst leisten sowie keinen Eid ablegen dürfen. Kirche soll eigenen Weg gehen und sich nicht vermischen mit staatlichem Handeln. Zur Kirche gehören aus Sicht der Täufer nur die, die sich bewusst dafür entscheiden. Aus diesem Grund favorisierten die Täufer die Glaubenstaufe, also die bewusste Entscheidung von erwachsenen Bürgerinnen und Bürgern für ein Leben mit dem EINEN GOTT. Dies ist die Vision einer Kirche, die aus Heiligen besteht und die volkskirchliche Dimension aufgibt.

Für Zwingli ist diese Konzeption inakzeptabel gewesen. Die Beziehungen zwischen Bürgerinnen und Bürgern beruhen auf Verträgen. Die Eidesverweigerung stellte das gesellschaftliche Gebilde in Frage. Hinzu kam: In dieser schwierigen Situation einer Reformation konnte Kirche nur in Kooperation mit der Obrigkeit überleben. Ohne staatliche Unterstützung, welche die Täufer ablehnten, hätte es keine Reformation gegeben. – Ich kenne in Europa keine Reformation, die sich alleine, also ohne Unterstützung der Obrigkeit, behauptet hat.

Am Ende dieser Kontroverse standen sechs Todesurteile gegen Täufer. Felix Manz (um 1498 – 1527) und fünf weitere wurden „zu Tode getauft“, also ertränkt. Dies gehört zu den schrecklichen Komponenten der Zürcher Reformation.

Erst 2004 baten die Evangelisch-reformierte Landeskirche des Kantons Zürich und die Stadt Zürich bei den Nachkommen der Täufer um Vergebung und ebneten den Weg zur Versöhnung.


14. Reformation in der Alten Eidgenossenschaft und Erster Kappeler Krieg

Zürich war jetzt eine evangelisch-reformierte Stadt mit betont schlichten Kirchenschiffen.

Die Reformation blieb nicht auf die Stadt Zürich begrenzt. Durch den Einfluss und das Vorbild Zürichs kam es zur Einführung der Reformation in den Orten Basel (führende Reformatoren: Oswald Myconius (1488 – 1552) und Johann Oekolampad (1482 – 1531)), Bern (führender Reformator: Berchthold Haller (1492 – 1536)), St. Gallen (führende Reformatoren: Johannes Kessler (um 1502 – 1574) und Joachim Vadian (1484 – 1551)) und Schaffhausen (führende Reformatoren: Sebastian Hofmeister (1476 – 1533) und Erasmus Ritter (1481 – 1546)). Weiter setzte sich reformatorischen Gedankengut teilweise in den Orten Solothurn, Appenzell und der Gemeinen Herrschaft Graubünden (führender Reformator: Johann Comander (1484 – 1557)) durch. In Graubünden konnte jede Gemeinde darüber abstimmen, ob diese römisch-katholisch bleiben oder evangelisch-reformiert werden wollte.

In Deutschland gehen nur die evangelisch-reformierten Gemeinden Bad Grönenbach und Herbishofen direkt auf Zwinglis Wirken zurück. Diese sind die ältesten evangelisch-reformierten Gemeinden in unserem Land.

Die fünf inneren Orte der Eidgenossenschaft setzten der Reformation heftigen Widerstand entgegen und versuchten, Zürich die Bünde zu kündigen.

Andererseits kam es zu einem stärkeren Zusammenrücken der evangelisch-reformierten eidgenössischen Städte St. Gallen, Schaffhausen, Basel und Bern sowie der zugewandten Städte Mülhausen und Biel. Sogar nach Konstanz und Straßburg wurden Verbindungen geknüpft. Schließlich schlossen die reformierten Orte 1528 mit Konstanz das „Christliche Burgrecht“ zur Verteidigung der Reformation.

Die römisch-katholischen Orte schlossen ihrerseits 1529 die „Christliche Vereinigung“ mit Habsburg.

Die Entscheidung für oder gegen die Reformation bedeutete immer auch eine politische Entscheidung für oder gegen das damit verbundene Reformprogramm. Während beispielsweise Zürich das Reislaufen ablehnte, war das Söldnerwesen für die Urkantone die Haupteinnahmequelle.

Als die römisch-katholischen Orte die Ausbreitung der Reformation in den gemeinen Herrschaften und in der Fürstabtei St. Gallen mit Gewalt verhinderten, erklärte Zürich auf Drängen Zwinglis den Krieg.

Der Erste Kappeler Krieg im Jahre 1529 endete ohne militärische Konfrontation in einer Vermittlung, dem Ersten Kappeler Landfrieden. Zwingli und die politische Führung Zürichs führten danach weiter erfolglose Bündnisverhandlungen mit europäischen Mächten und unterstützten aktiv die Reformation in den Gemeinen Herrschaften.

Doch nicht nur dort kriselte es.


15. Marburger Religionsgespräch

Auch das Verhältnis zum Reformator Martin Luther war angespannt. So trafen sich Vertreter beider Richtungen der Reformation auf Einladung des Landgrafen von Hessen zum Marburger Religionsgespräch vom 01. bis 04. Oktober 1529 in dessen Schloss zu Marburg.

Die Reformatoren von Wittenberg und Zürich können sich dort in der Frage des Abendmahls nicht einigen. Strittig war die Frage, wie die Gläubigen sich die Gegenwart von Christus im Abendmahl vorstellen sollten. Luther war der Ansicht, das Abendmahlbrot sei in geheimnisvoller Weise real der Leib Jesus. Für Zwingli hingegen war Jesus beim Abendmahl im Geist gegenwärtig, und das Brot war ein Zeichen dieser Gegenwart. Anders formuliert: Der EINE GOTT verwandelt im Abendmahl nicht Brot und Wein, sondern Menschen, die so selbst zum „Leib Christi“ werden. Für die Schweizer Reformatoren wäre dies übrigens kein Grund zu einer Kirchentrennung gewesen – für Luther allerdings schon.

Zwingli und Luther trennte auch das Verständnis bezüglich der alttestamentlichen „Gesetze“: Nach lutherischer Lehre handelt es sich um ein anklagendes „Gesetz“. Für Zwingli aber sind es hilfreiche weisende Gebote, die in keiner Weise im Widerspruch zum Evangelium stehen.


16. Zürcher Bibel

Ein bleibendes Vermächtnis Zwinglis und der Zürcher Reformation ist die Zürcher Bibel. Zwingli sah die Notwendigkeit einer Übersetzung, damit das Volk selber in der EINEN BIBEL lesen kann. Nur die EINE BIBEL weist den Weg aus dem Dickicht aus Kirchenregeln, Volksglauben und Interessenwirrwarr.

An der Übersetzung wurde jeden Morgen im Chor des Großmünsters zu Zürich von 1525 bis 1531 gearbeitet. Sie entstand und entsteht immer in Zusammenarbeit von verschiedenen Gelehrten.

So kann jeder Mensch in der gleichen Weise entdecken, wenn er die EINE BIBEL liest, wie diese zu ihm als lebendiges Wort spricht.

Zwingli ging davon aus, dass die Übersetzung deutlich und verständlich ist. So braucht es weder Lehramt noch Lehrtradition, welche sagen oder vorschreiben, wie die EINE BIBEL zu verstehen sei.

Die Zürcher Reformation ist also auch ein Bibelübersetzungsprozess. 1531 erscheint die Zürcher Bibel erstmalig. Schon 1540 erscheint eine überarbeitete Ausgabe. Über die Jahrhunderte ist die Zürcher Bibel immer wieder in verbesserter Form herausgegeben worden. Die nächste überarbeitete Auflage ist für 2031 geplant.

Zwingli hat uns Menschen die geöffnete EINE BIBEL gegeben.


17. Zweiter Kappeler Krieg

War beim Ersten Kappeler Krieg ein Blutvergießen noch verhindert worden, spitzte sich die Lage zwei Jahre später erneut zu. Eine Mischung aus Verschwörungsängsten, gescheiterten Bündnissen, Machtkämpfen und die Angst vor einem Gericht des EINEN GOTT brachte Zwingli 1531 dazu, Reformpläne für die Eidgenossenschaft zu machen. Diese wurden abgelehnt, worauf Zwingli dem Rat der Stadt Zürich seinen Rücktritt anbot. Dazu kam es nicht.

Die evangelisch-reformierten Orte versuchten ihren Einfluss und die Reformation mit Gewalt in die Innerschweiz zu bringen. Sie veranlassten eine Lebensmittelsperre gegen die fünf Orte Uri, Schwyz, Luzern, Unterwalden und Zug. Diese erklärten daraufhin Zürich den Krieg.

Die Zürcher zögerten mit ihrer Mobilisierung und zogen nur mit einer Vorhut auf. Diese bezog mit dem Feldprediger Zwingli dann in Kappel Stellung. Die Innerschweizer hatten zusammen ein größeres und besseres Heer. Der Zürcher Truppenführer hatte Anweisung, keine Kampfhandlungen bis zum Eintreffen der Haupttruppe einzugehen.

Aber die Innerschweizer haben diesen Vortrupp angegriffen und zum Rückzug gezwungen. Später marschierte der Zürcher Haupttrupp auf; auch dieser ist von den Innerschweizern angegriffen und zum Rückzug gezwungen worden. Die Zürcher verloren 500 Mann, die Innerschweizer ungefähr 100.


18. Zwinglis Tod

Zwingli war schwer verwundet. Dieser wurde dann im Rahmen einer beispiellosen Rache als Verwundeter von den Siegern getötet, als Vaterlandsverräter gevierteilt und anschließend als Ketzer verbrannt. Die Asche ist in den Wind gestreut worden. Es war eine grauenhafte Rache, die am Reformator Zwingli vollzogen wurde.

Zwingli ist ein Mann mit Ecken und Kanten gewesen, kein pflegeleichter Charakter. Zwingli war von dem überzeugt, was er machte. Zwingli war bereit, das Erreichte zu verteidigen. Zwingli hatte keinen kriegerischen Charakter. Aber Zwingli verteidigte überzeugt und konsequent, wofür er sich eingesetzt hat.


19. Tafeltext auf dem Schlachtendenkmal

Hier der Tafeltext auf dem Schlachtendenkmal:

„DEN LEIB KÖNNEN SIE TÖDTEN,
NICHT ABER DIE SEELE,
SO SPRACH AN DIESER STÄTTE
ULRICH ZWINGLI,
FÜR WAHRHEIT
UND
DER CHRISTLICHEN KIRCHE
FREIHEIT
DEN HELDENTOD STERBEND
DEN 11. OCTOB. 1531.“


20. Zürich nach Zwingli

Was Zwingli in seinen 12 Jahren als Pastor in Zürich auf den Weg bringen konnte, ist bemerkenswert. Er starb mit 46 Jahren.

Doch die Reformation war nicht tot. Zwingli hinterließ ein Werk, dass andere fortsetzten.

Als sein Nachfolger wurde Heinrich Bullinger (1504 – 1575) gewählt. Er stabilisierte die Reformation in Zürich und führte die begonnene Umgestaltung von Kirche und Gesellschaft in Zürich mit diplomatischem Geschick weiter.

Bullinger hielt sich aus der Politik weitgehend heraus und verhalf Zürich zur Blüte als europaweit vernetztes Zentrum.

1549 gelang der Brückenschlag zum Genfer Reformator Johannes Calvin. Die Reformierten der Alten Eidgenossenschaft und die Reformierten des Zugewandten Ortes Genf (seit 1526) einigten sich auf ein gemeinsames Bekenntnis, den Consensus Tigurinus. Ihr Glaubens-, Kirchen- und Lebensverständnis strahlte nach Europa und in die ganze Welt.


21. Zwingli als Reformator

Zwingli steht für die Wiederentdeckung, dass christlicher Glaube mit biblischer Tradition zu tun hat. Dieses bedeutet die Konzentration auf die Autorität der EINEN BIBEL und die Bindung der Kirche an die EINE BIBEL. Beide reformatorischen Anliegen können nicht häufig genug hervorgehoben werden.

Das größte Verdienst Zwinglis liegt darin, eine dynamische Verhältnisbestimmung zwischen Glauben an den EINEN GOTT und sozial-politischem Engagement vertreten zu haben. Er steht für nüchterne persönliche Frömmigkeit und zugleich die Offenheit hin zur Gemeinschaft. Offenheit schließt Bereitschaft zur politischen Verantwortung mit ein.

Die Zürcher Reformation war immer beides – eine Reformation der Kirche und eine Reform der Gesellschaft.


22. Zum Schluss

Zwingli hat es als Sohn eines mittelständischen Landwirts eines Bergdorfes weit gebracht. Seine Erkenntnisse krempelten nicht nur die Stadt Zürich um, sondern hatten Einfluss auf das reformatorische Denken in der Eidgenossenschaft, in Europa und der ganzen Welt – ein Reformator von europäischem Format und von Weltrang. Zwinglis Lehren gehören mit zu den besten Ausfuhrprodukten der Schweiz.

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