Große Plakate, kleine Lichter und die Wiege der Demokratie
Griechenland ist die Wiege der Demokratie. Griechische Mythologie und friesischer Wahlkampf haben mehr miteinander zu tun, als man meinen möchte. Bei eingehender Betrachtung des größten Wahlplakates der Stadt fielen dem Verfasser überraschende Zusammenhänge auf.
Varel / Jever / Bockhorn
Endlich.
Die Schlacht um die Laternenpfähle schien entschieden. Die Stadt bunt bestückt und bereit zum Urnengang - da erschien er doch noch!
Mochten die Augen des Wahlvolks bereits geblendet sein von all der bunten, plakatierten Pracht und die Ohren dröhnen ob der vielen Botschaften – Platz für das allergrößte Plakat ist immer, selbst an der kürzesten Laterne: „Taten statt Sprüche“ lautet die Botschaft, und der Betrachter fühlt es gleich: Da glüht der Funke, entfacht ein Feuer und wärmt das Herz.
Der humanistisch gebildete Betrachter kann sich einer antik anmutenden Assoziation nicht erwehren, und selbst demjenigen, der mit Olympia nur ein Sportfest verbindet, mag es so vorkommen:
Wie weiland Zeus, der oberste der Olympier, der Donnerer, der Blitzeschleuderer, erscheint der Allgewaltige über der tobenden, wahlkämpfenden Szenerie. Doch ohne Zorn, so registrierts der staunende Betrachter, erscheint er auf der Walstatt. Schlohweiß das Haar, das von alten Kämpfen und siegreichen Schlachten lang vergangener Zeiten zeugt. Mild geworden der Blick.
Und von da oben, vom höchsten Punkt des Mastes der Erleuchtung, schweift sein Auge über all dies Gewese und Getue, das sich am Fuße des Olymps ereignet: die großen und die kleinen Leuchten, die kleinen Götter, Halbgötter, und selbst die allerkleinsten Lichter – sie rangeln und sie drängeln. Und alle haben sie im Kampf um die raren Plätze im Rat Fahrt aufgenommen und kommen in eben solche. In den sozialen Netzwerken lässt es sich trefflich beobachten. Auf einer der einschlägigen Plattformen klagte ein Kandidat: „Oh Mann, ist das jetzt vor der Wahl immer ein politisches Gemetzel in dieser Gruppe!“
Was mag er denken, der alte Blitzeschleuderer, ob solchen Getümmels? Ach, es geht ja nur um Varels Ratsversammlung. Er aber – ward er nicht einst zum Stier, auf dessen Rücken Europa sicher gen Kreta schwamm? So kündet es die Illias. Und mal ganz nebenbei bemerkt: Die Illias und der Friebo sind wirklich nicht miteinander vergleichbar. Homer wäre es niemals in den Sinn gekommen, in seinem eigenen Druckerzeugnis darum zu werben, in die Ambrosia schlürfende Versammlung auf dem Olymp aufgenommen zu werden. So ändern sich die Zeiten. Keck die Kandidatin. Doch sicherlich wachsam der Wähler.
Was mag er denken, der Donnerer vom Deich? Jetzt, wo Europa Erinnerung ist und Bonn eine Station auf dem Wege war? Heute, wo aus dem Stier feinstes Angus wurde und aus der Reiterei ein Vergnügen für Gäste aus dem Binnenland?
Ob er auch für einen Hunde-Freilaufplatz kämpfen würde?
Wahrscheinlich. Denn die Erinnerung an das Haustier des Götterkollegen Hades gehört nicht zu seinen angenehmsten. Es hatte ihn ja immer geschüttelt, wenn er den Kollegen besuchte, und Kerberos, der Höllenhund, grässlich die Zähne fletschte und rasselnd an den Ketten zerrte. Nun gut, das Tier tat seinen Job. Es bewachte den Eingang zur Unterwelt. Aber ein bisschen Auslauf hätte der Kreatur gutgetan. Also: Keine schlechte Idee, so ein Hunde-Freilaufplatz.
Wobei – sinnend steht der Betrachter unter dem gewaltigen Plakat und liest im Antlitz des ebenso Gewaltigen. Ist dort nicht auch leiser Zweifel zu erkennen? Der Initiator des Geläufs braucht doch einen Platz dazu. Nun, der Mann hat sicher was auf dem Kastner. Aber hat nicht eben derselbe im November 2019 der Stadt Varel geraten, sich an den kleinen und mittleren Städten Süddeutschlands ein Vorbild zu nehmen und zur Nachverdichtung in Baugebieten geraten? Und hat nicht eben derselbe das Engagement jener Bürger als Aktivismus gegeißelt, die den Schlacke-Platz an der Windallee einer Bebauung entziehen wollten?
Der Blick des Gewaltigen vom Laternenpfahl wirkt nachdenklich. Ob beides geht? Nachverdichtung und Hunde-Geläuf? Nicht vor den Toren der Stadt, sondern fußläufig erreichbar? Na ja, vielleicht. Vielleicht auch nicht. Interessant nur, wie ein persönlicher Bedarf auf einmal die Notwendigkeit freier Flächen in den Fokus rückt.
Und weiter schweifen die Gedanken des Betrachters ob des Gnadenbildes vom Mast:
Wie Zeus das Gewimmel der Menschenkinder am Fuße des Olymps beobachten und deuten konnte, sieht auch der große Alte vom Jadebusen das Leid der Menschen, die nicht mehr sicher sein können, ob der Gott der Heilkunst ihnen ein echtes Vakzin verabreichen ließ. Heillos das Durcheinander. Ärgerlich das Wahlvolk. Der Äskulap von der Braustätte hat einfach den Überblick verloren und stochert mit seinem Stab samt Schlange hilflos im Nebel.
Zu olympischen Zeiten hätte der Chef des Berges höchstselbst dafür gesorgt, dass die Ambrosia-Lieferungen nach Thessalien eingestellt worden wären.
Heute hilft da nur Klare Kante. Ambrosia, der Trank, der Unsterblichkeit oder doch jedenfalls ewiges Amt verspricht, wird einfach nicht von jedem Landrat vertragen.
Was mag ihm alles durch das weiß gewordene Haupt gehen?
Ob ihm die Bilder der Sozialen Wählergemeinschaft gefallen?
Sicher hat er von da hoch oben genau mitbekommen, wie Wahlhelfer Peter Taschen mit Bergen von Zettelchen von Mast zu Mast trug. Plakate sollten es werden. Aber lags an der Druckerei? Oder am Geld? Kleine Bildchen sind es geworden, und wer wissen will, ob die wohlfrisierte Gestalt hoch am Mast tatsächlich der Siegfried ist, muss schon den Feldstecher benutzen.
Griechenland. Die Wiege der Demokratie!
Wer hätte gedacht, dass sie dem Wahlkampf in Friesland Impulse verleiht?
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