Gerechtigkeit schafft gesellschaftlichen Frieden
Gleichstellung Alleinerziehender mit Familien mit Kindern
Westerstede / Ammerland / Niedersachsen
Reina Becker (Westerstede) kämpft bis zum Bundesverfassungsgericht und gegebenenfalls auch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte für die steuerliche Gleichstellung von Alleinerziehenden mit der traditionellen Familie mit Kindern und/oder kinderlosen Ehen
Da die bisherige Entwicklung von mir persönlich seit Jahren aufmerksam verfolgt wird, bleibe ich im Interview bei der persönlichen Ansprache. Reina Becker ist in Westerstede Steuerberaterin und eine liebevolle und fleißige Mutter von zwei Töchtern. Eltern träumen alle denselben Traum von Sicherheit und Wohlstand, sie lieben ihre Kinder und sorgen sich um ihr Wohlergehen. Sie hegen den Wunsch nach verlässlichen, stabilen Beziehungen wie in jeder anderen Familie. Dennoch sieht es in 40% der deutschen Familien anders aus.
Frage: Reina, vielen Menschen stellt sich die Frage, warum man Kinder alleine erzieht. Wie kam es bei dir dazu?
Becker: Ich bin seit 2006 durch den Tod meines Mannes alleinerziehende Mutter. Meine Kinder waren zu dem Zeitpunkt 8 und 13 Jahre alt.
Frage: Was hat sich, abgesehen von eurer emotionalen Situation, danach finanziell geändert?
Becker: Zunächst hat sich geändert, dass es ungleich schwerer ist, das gleiche Einkommen überhaupt zu erzielen, weil sich Haushalt und Kinder nicht mehr auf vier Schultern verteilen. Hinzu kam, selbst für mich als Steuerberaterin, dass ich überrascht war, über die Größenordnung des Steuerunterschieds, der bei mir als Witwe mit zwei Kindern einen Nachteil von ca. 7000 Euro bedeutet. Jedes Jahr seit 2008! 2007 bin ich noch in den Genuss des „Gnadensplittings“ gekommen.
Frage: In der Sendung „Stern TV“ am 5. März ist dein Fall dargestellt worden (Ungerechtes Steuersystem), was sicher für eine erhöhte mediale Aufmerksamkeit gesorgt hat. Wie viel Zuspruch bekommst du von Seiten Alleinerziehender?
Becker: Einen verborgenen Kreis von Unterstützern habe ich schon seit längerer Zeit. Im Internet tauschen wir uns über die Plattform http://familiensplitting.wordpress.com/ aus. Mir geht es um die gerechtere Besteuerung von Familien, in denen Kinder sind. Die Resonanz auf dem Stern-Auftritt war überwältigend! Viele E-Mails, sowohl von Betroffenen als auch von Nichtbetroffenen und auch von Kollegen aus ganz Deutschland, haben mich in meinem Handeln gestärkt und unterstützt. Dank, Zuspruch, Anerkennung, Durchhalteparolen von überall her, sogar aus der Schweiz. Dort werden Alleinerziehende sogar günstiger besteuert als verheiratete Doppelverdiener, wie mir eine Betroffene berichtete.
Frage: Nicht nur in der Stern-TV-Sendung, sondern auch in der TNS-Emnid-Umfrage „Familie“, wird festgestellt, dass die klassische Rollenverteilung nach Ansicht der Mehrheit der Bevölkerung ein Auslaufmodell ist (im Westen eher als im Osten). Die Gründe liegen der Umfrage zufolge in der ökonomischen Notwendigkeit und in der Entwicklung zur Gleichberechtigung von Männern und Frauen. Wie beurteilst du vor diesem Hintergrund die Stellung der Alleinerziehenden in unserer Gesellschaft?
Becker: Das Steuerrecht hat sich der geänderten gesellschaftlichen Realität der vielfältigen Familienformen noch nicht angepasst, sondern hinkt hinterher. Alleinerziehende sind zu 90% Frauen, die ohnehin in den oft schlechter bezahlten Berufen arbeiten und in gleichen Berufen meist schlechter bezahlt werden als Männer. Und dann, wenn sie es schaffen, steuergleiches Einkommen zu erzielen, höher besteuert werden, als kinderlose Ehepaare, Ehepaare, bei denen die Kinder aus dem Haus sind und gleichgeschlechtliche eingetragene Lebenspartnerschaften. Das im letzten Jahr für die Lebenspartnerschaften ergangene Urteil vor dem Bundesverfassungsgericht erhöht für uns die Chancen für einen positiven Ausgang, weil mit diesem Urteil Unterhaltsgemeinschaften den „Steuerbilligtarif“ erhalten, die keinen Grundrechtsschutz haben. Hingegen stehen gemäß Art. 6 des Grundgesetzes Ehe und Familie unter besonderem Schutz.
Historisch (1958) sollte mit dem Splittingtarif überwiegend die Ehe mit Kindern gefördert werden. Früher ist das Splittingverfahren auch überwiegend Familien mit Kindern zugute gekommen. Heute gibt es viele Regenbogenfamilien ohne verheiratete Eltern. Wobei auch verheiratete Eltern, die beide arbeiten, weil es heute für viele gar nicht möglich ist, eine Familie alleine zu ernähren, kaum oder gar nicht vom Splittingtarif profitieren. Auch diese subventionieren die Alleinverdiener-Ehen.
Frage: In der Umfrage zum Thema Familie (Bertelsmann Stiftung, 2010), befürworten 87% der Befragten die Gleichstellung von Alleinerziehenden mit der klassischen ehelichen Familie. Auch in der TNS-emnid Umfrage gibt es mehrheitlich Zustimmung zur Gleichstellung. Wie ist zurzeit der Stand deines Verfahrens vor Gericht?
Becker: Mein Verfahren ist derzeit anhängig beim Bundesfinanzhof in München. Unterstützt wird von mir ein Parallelverfahren, welches ein ebenfalls verwitweter Steuerberaterkollege aus Leipzig bereits vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe führt.
Da wir zwei Verfahren vor den höchsten deutschen Gerichten führen, kann jede/r Alleinerziehende/r sich auf diese Verfahren berufen und Einspruch bei seinem Finanzamt gegen seinen Stuerbescheid einlegen. Ein eigenes Klageverfahren Betroffener ist nicht notwendig.
Frage: Gesellschaftlich eindeutig wird den Umfragen zufolge Alleinerziehenden Recht und damit eine steuerliche Gleichstellung zugebilligt. Wie siehst du die Bewertung von Familien mit Kindern?
Becker: Gemäß verschiedener Umfragen ist es gesellschaftlicher Konsens, dass auch Alleinerziehende als Familien gelten und dass steuerliche Entlastungen dort hingehören, wo Kinder großgezogen werden, unabhängig vom Familienstand der Eltern.
Frage: Wie reagiert die Presse?
Becker: Heute habe ich gleich zwei Interviews und es liegen weiter Anfragen von Seiten der Printmedien wie auch dem Fernsehen vor.
Kroon: Es bleibt spannend im Kampf um Gleichstellung, viel Erfolg!
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