Die Schatzkiste aus Bremerhaven
Daß es ein Schatz war, den diese Bücher-Kiste beinhaltete, das offenbarte sich mir erst Jahre später, aber ich profitiere noch heute davon.
Oldenburg
Meine Tagebucheintragungen habe ich seit vielen vielen Jahren ohne Unterbrechung jeden Tag auf meiner to-do-Liste . Sie überraschen mich sogar selbst so manches Mal mit Geschichten, die schon fast in Vergessenheit geraten sind.
Erst vor Kurzem fand ich wieder eine davon, die einen Zeitraum von ca.1957 bis 1997 beleuchtet, ich lese sie mal vor, ok?
Das knapp 100-Seelen-zählende Dörfchen in der Gemeinde Apen, in dem ich aufwuchs, war nicht gerade geeignet um Pluspunkte bei wißbegierigen Kindern und Jugendlichen zu gewinnen.
Es gab kaum Möglichkeiten an den wenigen Freizeitangeboten in den Nachbarorten teilzunehmen, da das Fahrrad damals das Hauptverkehrsmittel war und die vielen Kilometer mich als Kind schon ziemlich abschreckten, schließlich war man schon e i n m a l am Tag diesen Weg zur Schule gefahren.
Alle, die mit uns verwandt waren, die wohnten irgendwo – rundumzu-, manche auch im Ort selbst, die anderen in den umliegenden Ortschaften, sodaß es so gut wie nie zu weiten Ausflügen oder Ferienfreizeiten bei Verwandten kam.
Allerdings gab es da ein paar kleine Ausnahmen, nämlich Verwandte in Bremerhaven und in Krefeld. Das war für mich schon fast so weit wie –Amerika-, so unerreichbar erschienen mir diese Orte als Kind.
A m e r i k a , das Land der Träume aller Deutschen war mir bekannt, ich hatte davon aus Erzählungen gehört, aber die Entfernung war für mich damals unmeßbar, ich verglich es mit der Entfernung zum Mond, anders konnte ich es nicht ausdrücken.
In den folgenden Jahren rückte Amerika zwar nicht näher, aber mein Interesse wurde konkret geweckt, als unsere Bremerhavener Anverwandten (Ehepaar mit 2 Töchtern) ihre –Siebensachen- packten und mit dem Schiff, auf dem mein Onkel Steward war, New York ansteuerten, um in einem der 52 Staaten Amerikas, in Illinois, ansässig zu werden. Sie wollten sich eine neue Existenz aufbauen und eröffneten ein Restaurant in Chicago, ungefähr 1957.
Vor der Abreise aber wurde die ganze Verwandtschaft besucht und mit einem kleinen Mitbringsel bedacht, denn die mitzunehmenden Gepäckstücke und die Kilozahlen hielten sich auch damals schon in Grenzen.
So kam unsere Familie in den Genuß einer großen Kiste mit Büchern und noch verwertbaren Kleidungsstücken.
Ich weiß noch, als sie mit einem Auto des Typs Borgward Isabella (den Namen habe ich mir damals schon gemerkt) in die Auffahrt zu unserem Haus einbogen.
Das war für mich eine größere Sensation. Mich interessierte vor allem die Bücherkiste und es stellte sich später heraus, es war eine Schatzkiste, im wahren Sinne des Wortes.
Ich beschäftigte mich wochenlang nur mit Büchern, um sie einzusortieren und um sie zu begutachten. Lesestoff hatte ich für Jahre.
Es war alles da, was einem literaturbegeistertem Kind das Herz höher schlagen läßt.
So auch die Erstausgabe des Kinderbuches H e i d i von Johanna
Spyri , …und Grimms Märchen habe ich geliebt .
Natürlich gab es neben unzähligen Kinderbüchern auch solche für ältere Personen, aber schließlich war ich schon zwölf und -Vom Winde verweht- oder -Gone with the wind- von Margaret Mitchell war ein Buch zum Weiterträumen.
Die Südstaaten-Saga nahm Formen an. Scarlett O'Hara und Rhett Butler, Melanie und Ashley Wilkes. Atlanta und die Peachtree- Avenue waren mir beim Lesen ebenso vertraut geworden wie das grüne Samtkleid, das Scarlett sich aus Mangel an Material und Geld aus den Fenstervorhängen von Tara genäht hatte. Wie auch immer, alles war die Begeisterung pur für eine Traumgeschichte. Ich wünschte mir damals nichts sehnlicher als die Stätten, an der meine Romanhelden angeblich gelebt hatten, einmal selbst bereisen zu dürfen .Diese Sehnsucht wuchs in dieser Zeit mehr und mehr.
Aber, Atlanta, das war von unserem kleinen Dorf soweit entfernt und ich würde es niemals sehen, war ich mir damals sicher.
Sollte ich mal eine Tochter haben, später, so meine Gedanken, ich würde sie Scarlett nennen. Aber als es irgendwann soweit war, fehlte mir der Mut, alles kommt immer anders.
35 Jahre nachdem ich Margaret Mitchells Werk verschlungen hatte gab das Schicksal mir die Gelegenheit in Amerikas Südstaaten
die beschriebenen Stätten der Romanhandlung in Augenschein zu nehmen.
Jetzt sah ich die Peachtree-Avenue mit eigenen Augen und wir fuhren mit dem Auto die einstige Prachtstraße entlang, die sicherlich nichts mehr mit der damaligen Straßenführung zu tun hatte, die Scarlett O'Hara einst benutzte.
In meinem Reisetagebuch beschrieb ich damals abschließend meine Eindrücke:
-Zurückblickend auf unsere vor kurzem in den USA verbrachte Zeit gibt es wieder tausend Erinnerungen, Träume und Empfindungen. Begegnungen waren es , Sehenswürdigkeiten und Besonderheiten die unserem über- dreiwöchigen Aufenthalt den Rahmen gaben.
Wie schon in den Jahren zuvor waren wir wieder einmal mehr begeistert von dem unendlich großen Angebot an Wirtschaftsgütern, der Wohn- und Eßkultur und natürlich der Landschaftsstruktur unddem Meeresrauschen an der Ost - und Golfküste, die Everglades nicht zu vergessen. Überwältigt waren wir von den riesigen und unzähligen Mammut-Brückenkonstruktionen sowie den, in ihrer Vielzahl nicht zu übersehenden Gotteshäusern, die uns bewundernd die starke Gläubigkeit in den von uns besuchten Staaten aufzeigte. Nicht immer bei strahlendem Sonnenschein sollten wir die amerikanische Welt betrachten; so überraschte uns ein riesiges Unwetter in der Nähe von Savannah, vielleicht sogar ein -Kleinst-Tornado- . Hinter der zu bersten drohenden Frontscheibe suchten wir mit unserem Mietauto etwas Schutz hinter einem Gebüsch, was sicherlich ein wenig geholfen hat.
Savannah, die Stadt, deren Name weich und samtig von den Lippen gleitet, deren Architektur sich auf Anhieb unseren Vorstellungen anpaßte, Vorstellungen, die man sich aufgrund von Literatur über die Südstaaten schon in früheren Jahren gemacht hatte.
Natürlich hat auch die Autorin Margaret Mitchell nicht unwesentlich zu unseren Vorstellungen beigetragen. Neben einem Teil von Savannah lernten wir auch New Orleans mit seinem French Quarter, Biloxi, Tallahassee, Jekyll Island und Atlanta mit seinem -Underground- kennen. Später dann Charleston und einige Städte in West-Virginia dazu, wobei der zauberhafte Panoramablick mir sofort das Lied -Mountain-Mama- fast hörbar in meine Gedanken einspielte.
Zusammenfassend zwar nur ein Teil der Staaten insgesamt, den wir sahen, aber dennoch ausreichend und gerade soviel, daß unser Auffassungsvermögen nicht überlastet wurde.
Wir erinnern uns gerne an alles Erlebte. Einiges hat auch so manche Idee in unseren Köpfen reifen lassen. Aber leider ist in Deutschland so vieles nicht durchführbar, was in den USA alltäglich ist.
Das unbedingte M u ß für Deutsche in der Gegend von Atlanta (natürlich auch für andere Nationalitäten) ist der Besuch einer kleinen, in der Nähe gelegenen Stadt : H e l e n mit Namen und mit einem Deutschen Image. Ihr bayrischer Stil bezaubert die Besucher und versetzt sie hinein in die Atmosphäre eines Alpendorfes. Nur die amerikanische Flagge erinnert daran, daß man sich in den USA befindet.
Hier findet man neben deutschstämmigen Verkäufern auch echte Holländer Meisjes, die Käse, Lakritzen und natürlich das schöne Delfter Porzellan verkaufen, neben vielen anderen Dingen. Mehr als anderswo waren Deutsche, d. h. bayrische Spezialitäten zu haben,
und der Strom der Besucher gab den Initiatoren dieser Idee um das Flair einer deutschen Stadt recht. Hier ist ein magischer Punkt mit Niveau entstanden, eine kleine heile Welt.
Sicher, es gibt noch viele, viele schöne Plätze und Gebiete in den USA, in denen man gerne leben möchte; aber in Deutschland ist die Heimat, die man schätzt und ehrt auch wenn es anderswo interessanter ist.
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