Mittwoch, 31. Juli 2013, 23:25 Uhr
Augustfehn / Mittelschule

"Nur ein Augenblick......"

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Erinnerungen an die Schulzeit, an eine besondere Schule und an mein Lieblingsgedicht.

Oldenburg Wie gerade eben erst erlebt, so tauchen meine Erinnerungen so manches Mal unmittelbar vor meinem geistigen Auge auf. Unabhängig von Zeit und Raum ,  unvorhergesehen und ohne jeglichen Bezug zu früheren Ereignissen. Es gibt keine Parallelen und keine Zusammenhänge mit erlebten Dingen. Und doch beherrschen diese Augenblicke umfassend und fordernd die derzeitige situationsbedingte Umgebung.

Vielleicht erleben es viele Menschen, vielleicht nur eine sog. „Handvoll“. Sind es die sensiblen, diejenigen, die bestimmte Gene haben ? Oder hat es mit all‘ diesen Eigenschaften überhaupt nichts zu tun ?

Als ich in einem solchen Augenblick  meine Kinderwelt vor mir sah, da gab es auch absolut keine Parallelen zur derzeitigen Gefühlssituation. Aber irgendetwas hat meine Sinne berührt.

Waren es Geräusche, die an meinem Ohr vorbeihuschten? Waren es Gerüche, die ich erkannte? Oder war es nur ein Luftzug, der mein Haar streifte, so wie damals, als ich andachtsvoll meinem Klassenlehrer lauschte?

Später bemerkte ich,  daß es „dieser Geruch“ gewesen war, da roch es in dem Moment wieder so wie die Blätter der Bäume an meinem Schulweg  und mir war soooo,…… ja so  als ob meine Gedanken   genau diesen Geruch herbeigerufen hätten.

Meine Sinne haben  es dann irgendwie  wohl ein wenig   mit Schule in Verbindung gebracht, mit Schule und dem ganzen Drumherum, mit allen positiven und negativen Eindrücken.

Gerne habe ich aber diese Gedanken festgehalten, habe die Umrisse der Bilder, die ich gerade sah, ganz fest mit einem dicken Stift umrahmt, damit sie nicht wieder verblassen sollten.

Meine Schulzeit, zu der auch meine Zeit an der Mittelschule in Augustfehn gehörte , hat mir ein gutes Rüstzeug mit auf den Weg gegeben und ich denke gerne daran zurück.

„Meine“ Schule, die man durch die kleine Allee an der Mühlenstraße erreichte, die damals schon etwas Besonderes war  und über deren Eingang immer schon „Bürgerschule“ geschrieben stand obwohl man zu der Zeit nicht mehr Bürgerschule sagte.   Wir nannten sie  liebevoll MiAu ,Mittelschule Augustfehn. Sie hatte sogar eine eigene kleine Flagge.

Heute ist der kleine Weg von der Mühlenstraße bis zur Schule, dort wo an der Ecke früher ein Fleischer seinen Laden hatte,  gepflastert und er hat sogar ein Straßenschild mit der Aufschrift:“Bürgerschule“. Ich kann mich wirklich nicht erinnern, ob es so ein Straßenschild auch damals schon gab. Ich glaube aber eher nicht, denn damals hieß sie ja „Mittelschule“ .

Heute sind Kindertagesstätten und Vereine in dem Gebäude untergebracht, die Mittelschule wurde schon vor langer Zeit in Realschule umbenannt, seit ein paar Jahren heißt sie Oberschule und befindet sich schon lange in der Schulstraße.

 Der Name Bürgerschule, so wie er auf dem Straßenschild steht,  war eher aus den Anfangszeiten der Schulentwicklung geläufig, als die Eltern noch Gebühren bezahlen mußten wenn sie ihre Kinder auf höheren  Schulen unterrichten lassen wollten. Das war zu meiner Zeit nicht mehr so.

Die ersten Schüler, die an der höheren Bürgerschule unterrichtet wurden, für die waren Unterrichtsräume irgendwo in der Ortsmitte, Ecke Hauptstraße/Kanal hergerichtet worden.Bestimmt können die älteren Augustfehner sogar noch den genauen Standort beschreiben.

Zu der Zeit als ich die Schule besuchte, bekam man einen Platz nach einer vorausgegangenen sogen. „Prüfung“, die man absolvieren mußte. Bestand man sie, dann hatte man etwas erreicht, womit man ein wenig zur Elite der Schülerschaft im Ammerland zählte, denn es waren meisten nur wenige ausgesuchte Schüler, die auf diese weiterführende Schule geschickt wurden und……man war schon stolz darauf, daß man sich von der Allgemeinheit in der Schülerwelt differenzierte.

Unsere Lehrer kamen aus dem ganzen Umkreis und die Schüler ebenso. Das heißt, im mittigen Augustfehn, zwischen Barßel, Leer und Bad Zwischenahn war die Schule gut zu erreichen, denn  weit und breit gab es keine vergleichbare Bildungsstätte. Die kleine Ortschaft Augustfehn hatte zur damaligen Zeit wohl die einzigste Mittelschule neben Oldenburg. Westerstede hatte das Gymnasium, Bad Zwischenahn das Pro-Gymnasium und Augustfehn eben die Mittelschule.

Fast jeder von uns aber hatte einen langen Schulweg zurückzulegen, meistens mit dem Fahrrad, denn Schulbusse wurden noch nicht eingesetzt. Heute denken bestimmt noch viele der damaligen Schüler an die langen Wege in Regen und Schnee zurück. Nicht selten kam man völlig durchnäßt in der Schule an. Aus Hollen, Ihausen, Barßel, von überall kamen die Schülergruppen morgens. Diejenigen, die von Apen kamen, die konnten bei Bedarf damals noch den Zug nutzen, es gab nämlich noch einen Bahnhof in Apen und der wurde auch von den Aper Einwohnern und denen der umliegenden Dörfer sehr gut genutzt.

 Unsere Unterrichtsstunden begannen morgens entsprechend der Ankunftszeiten der Züge, da auch viele Schüler aus Bad Zwischenahn und aus Richtung Leer mit der Bahn ankamen.

Aus Bad Zwischenahn kam auch unser Klassenlehrer, Herr Börner, (bis vor ein paar Jahren wohnte er in Oldenburg).

Er hat uns allen soviel beigebracht, hat uns  wohl auch gezeigt, worauf es im Leben wirklich ankommt.

Natürlich , es gab im Laufe der Zeit ganz viele  Lehrerinnen und Lehrer, die einen guten Job machten und von denen wir viel lernten. Nicht zu vergessen unser Schulleiter, Herr Rambusch, der mit ausgewählten Schülern einmal am Anfang der Woche anspruchsvolle  Gesänge in einer Chorstunde einübte. Aber an meinen Klassenlehrer, Herrn Börner, habe ich ganz oft im Verlauf meines  Lebens denken müssen, vor allem wenn ich mal wieder mein Lieblingsgedicht hervorholte und mich immer mal wieder wunderte wieviel Textpassagen dieses Gedichtes als Gleichnis anzuwenden waren.

Herr Börner hatte seinerzeit von dem Gedicht „Die Tulipan“, erzählt. Seine Schwester, so erzählte er, (jedenfalls  sagt es mir so meine Erinnerung), habe es ganz auswendig gelernt.

Er versprach uns eine gute Note im „Mündlichen“, wenn wir es vor der Klasse ganz vortragen konnten.

Ich weiß es noch genau, ich habe tagelang auswendig gelernt, verwarf festgefahrene Betonungen und versuchte neue Varianten bis endlich alles stimmig war und ich mich traute es vorzutragen.
Eine Zeitlang hatte ich es verlegt, aber der Zufall lenkte meinen Blick auf den dicken Gedichtband in einer süddeutschen Bücherei, wahrscheinlich war es „Aus Deutschem Herzen“(beschwören könnte ich es nicht mehr)   in dem die Tulipan abgedruckt war und natürlich habe ich es , nachdem ich es wiederfand,  s o f o r t   gespeichert, damit es mir nicht wieder verlorengehen konnte.

Es beeindruckt mich bei jedem Lesen, heute noch,  läßt mich manches Mal erschauern, aber dennoch, es hat, denkt man ein wenig nach, soviel Aussagekraft und Realität in seinen Versen. Es muß neben so mancher heilen Welt immer schon eine Welt gegeben haben, die  nicht der Norm entsprach und in der man nicht gesittet miteinander umgehen konnte oder wollte.

Hier ist meine Ballade, Lulu von Strauß und Torney hat sie geschrieben.

Die Tulipan

Es gehen so viele Straßen ins Land hinein,

Straßen wie weiße Bänder im Sonnenschein,

Straßen, darüber die Blitze des hohen Sommers stehn,

Straßen, darüber in Wolken Staub und Regen wehn.

Und wer auf den weißen Straßen einen Sommer lang zieht,

der schreitet mit rüstigen Füßen und frischem Lied.

Und wer zwei Jahr und dreie wandert her und hin,

dem werden die Sohlen müde, und friedlos der Sinn.

Und wer da liegt auf den Straßen sieben Jahr und mehr,

dem verweht im Staube der Straßen das Glück und die Ehr!

 

Es wandern zwei durch die Heide, die rot in Blüte steht,

die waren vom Winde der Straßen zusammengeweht:

Ein brauner Schmiedegeselle mit krausem Haar;

Der zog über die Landstraßen im siebten Jahr,

der andre ein junger Gärtner. Der spricht und lacht:

"Was daheim wohl die Mutter für Augen macht!

Meine lederne Katze ist von Gulden schwer,

Ich komme weit aus der Fremde, von Holland her.

Mir schenkte mein guter Meister, als ich wandern ging,

hier diese Samenzwiebel, ein edel selten Ding,

die trägt eine feine Blume, wie keiner im Dorf sie kennt,

die zwischen den grünen Blättern rot wie Feuer brennt!

In meiner Mutter Garten, bei Minz und Majoran,

da soll mir wachsen und blühen die Blume Tulipan!"

Der Braune schritt ihm zur Seite und horchte stumm,

drei Birken standen am Wege, da sah er sich spähend um.

Es glomm ihm unter den Brauen, ein gieriges Feuer an,

es kam eine böse Stunde über den fahrenden Mann.

Er riß aus dem breiten Gurte den Schmiedehammer hervor, -

Kein Auge hat‘s gesehen, gehört kein menschlich Ohr:

Er scharrte eine Grube im Laub am Straßenrand,

und vergaß die rote Tulipan in der wächsernen Totenhand. -

 

Im letzten Haus im Dorfe, da ging es kling und klang,

das rot der Funkenregen über die Straße sprang.

Es stand die junge Meisterin und spähte in Sonne und Wind:

"Du fremder brauner Geselle, was läufst du so geschwind?

Sie trugen um die Lichtmeßzeit zu Grabe mir den Mann,

was sprichst du in der Schmiede nicht das Handwerk an?" -

Die Erntesicheln gingen über das falbe Land,

als der fremde Geselle zuerst am Amboß stand,

die raschelnden Blätter stoben im kalten Winde hin,

da küßte er Feierabends seine Meisterin.

Und als die Straßen im Lande lagen weiß verschneit,

da nähte die junge Wittib sich wieder ein Hochzeitskleid. -

 

Es singt die blonde Meistersfrau den lieben langen Tag,

und horcht vom Herd herüber auf den Hammerschlag.

Es führt der neue Meister den Schmiedehammer gut,

er steht mit nackten Armen in roter Flackerglut.

Er sitzt an eignem Tische vor Weib und Hausgesind,

als hätte sein Herz vergessen, der Straßen Sonne und Wind.

Und stampft vor seiner Schmiede ein eisenloses Pferd,

es ist des Reiters Woher, Wohin ihm keiner Frage wert.

Und kommt ein fechtender Bruder vorbei mit staubigem Schuh,

er schlägt mit zornigem Gruße vor ihm die Türe zu.

 

Es singt die blonde Meistersfrau, so lange die Sonne lacht,

was stört sie auf vom Kissen in mancher Nacht?

Dumpf die Luft in der Kammer, die Wand von Mondlicht fahl,

der Meister fährt vom Schlafe auf in irrer Qual.

Er schreit, als würgt ihm das Grauen die Kehle zu:

"Liegt Einer am Straßenrande, der gibt nicht Ruh!"

"Mann, wer gibt nicht Ruh!" Sie fliegt am ganzen Leib.

Da schüttelt er wild die Fäuste: "Verflucht dein Lauschen, Weib!"

Grau der Wintermorgen, der ins Fenster scheint.

Finster des Meisters Stirne. Die Meisterin sitzt und weint.

 

Nun weht das linde Tauen ins Land hinein,

es schmelzen die weißen Streifen am braunen Ackerrain,

es geht ein Schwatzen der Stare über das Wiesenland,

die Weidenkätzchen stäuben draußen am Straßenrand.

Draußen am Straßenrande wacht heimlich Leben auf:

Es hebt sich ein grüner Finger aus dürrem Laub herauf,

der Finger reckt sich höher, wie wenn er droht,

es bricht aus seiner Spitze ein dunkeltiefes Rot!

Kinder haben‘s gesehen, die kamen den Weg entlang,

als der Küster Schule hielt, lief es von Bank zu Bank.

Der Schäfer trieb vorüber, der hob die Hand:

"Der Böse hat das Kraut gesät! Gott wende Krieg und Brand!"

Der Pfarrer aber schickt ins Feld des Meßners Sohn hinaus:

"Geh, grab mir für mein Gartenbeet das Herrgottswunder aus!" -

 

Der Bub hat um sein Messer die braune Faust gepreßt:

Wie hält die Schwarze Erde so zäh ihr Eigen fest!

Und wie die Schollen bröckeln, da blink ein fahles Weiß,

und wie die Klinge tiefer gräbt, da wird ihm kalt und heiß, -

er kommt im letzten Abendschein schreiend heimgerannt:

"Es wächst die Blume Tulipan an einer Knochenhand!"

 

Nun geht im Dorfe ein Fragen und Raunen an:

"Wo draußen die Birken stehen, ist schwere Tat getan!

Aber der heimliche Frevel hat nicht geruht:

Es wuchs eine rote Blume aus ungesühntem Blut!

Gott weiß, wohin des Weges, Gott weiß, woher er kam,

der hier an offner Straße so böse Abfahrt nahm!

Gott weiß, wo eins im Lande um ihn in Sorgen geht!

Gott weiß, wo eine Türe umsonst ihm offen steht!

Und liegt er verscharrt im Sande wie ein verreckter Hund,

wir wollen ein Grab ihm schenken in geweihtem Grund!"

 

Lehrling und Geselle liefen ins Dorf hinein,

Am Amboß in der Schmiede der Meister ist allein.

Er schlägt, wie wenn der Amboß in Stücke springen soll:

Die gottverdammten Glocken! Was bimmeln sie so toll?

Sie läuten den zur Ruhe, der an der Straße lag!

Es springen die roten Funken bei jedem Hammerschlag.

Der Meister hört den Hammer und sonst nicht Laut noch Schritt, -

was war das für ein Schatten, der über den Amboß glitt?

Und wie er jäh sich wendet, die Stirne naß von Schweiß,

steht eine auf der Schwelle, bis in die Lippen weiß.

Die roten Flammen knistern, sonst keinen Laut umher,

Es fallen ihre Worte wie Tropfen bang und schwer.

Aug in Auge schauen die zwei sich an:

"Der Dir nicht Ruh gegeben, - ist‘s der mit der Tulipan?"

Stille. Ein hartes Lachen aus des Meisters Mund.

"Jetzt muß er wohl Ruhe geben in geweihtem Grund!"

Wieder Schweigen. Und Glocken in das Schweigen herein, -

In den Augen des Mannes lauert ein böser Schein.

Er schließt die Faust um den Hammer wie spielend zu:

"Schwatzhaft ist Weiberzunge. Wann gibt die Ruh?"

 

Da schreit sie in jähem Schrecken, ihr Blut gerinnt,

Sie jagt hinaus und das Dorf entlang wie taub und blind,

sie hört nicht die wirren Stimmen rufen hinter ihr,

sie sieht nur des Pfarrers weißes Haar, vor seines Hauses Tür.

Da bricht das Weib in die Kniee und schluchzt auf seine Hand:

"Hilf Gott, er will mich erschlagen, - wie den am Straßenrand!"

 

Die Richtstatt ist hoch am Berge und droht ins Land hinein, -

Da gehen die weißen Straßen im Sonnenschein.

Straßen, darüber die Blitze des hohen Sommers stehn,

Straßen, darüber die Wolken Staub und Regen wehn,

Straßen, von denen zum Himmel heimliche Bluttat schreit,

Auf denen Einer verloren Ehre und Seligkeit!

Und wenn sie den Leib da droben richten mit dem Schwert, -

Gott sei gnädig der Seele, die ihre Straße fährt!

 

 

Lulu von Strauß und Torney

(Eine eigene Erinnerungs-Geschichte)

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