Als die Waffen schwiegen
Es war mein Geburtstag,1945, erzählte mir ein waschechter Oldenburger, - und ich hatte das Gefühl-, meinte er, daß es ein ganz besonder Tag war, denn sogar die Waffen schwiegen damals.
Oldenburg
Im vergangenem Jahr haben Aktionswochen mit dem Bezug – Nachkriegskinder – stattgefunden und auch wir zählten uns dazu; haben viele Geschichten gehört, die uns betroffen und fast atemlos machten.
Schon lange vorher hatten wir uns mit den Nachkriegsgeschichten auseinandergesetzt, in alle Richtungen recherchiert, um festzustellen, was an den vermeintlichen Erinnerungen im Laufe der Jahre evtl. verlorengegangen ist oder auch, -weil damals die Bilder des Erlebten aus Kinderaugen betrachtet wurden-, und was vielleicht über die Realitätsgrenze hinausgezogen worden war, weil Kinder alles sowieso größer und grausamer empfinden.
Es ist die Geschichte eines kleinen Jungen, der sich heute als waschechter Oldenburger bezeichnet, der aber noch genau weiß, daß die Kriegsjahre ihm auch ein Stück Kindheit geraubt haben.
Mit der Mutter Elfriede ging der fast 4-jährige Bernhard damals auf eine Reise ins vollkommen Ungewisse. Bernhard war in Königsberg in der Neumark geboren worden; dort lebten seine Eltern. Seine Mutter , die aus dem Ort stammte und sein Vater, der in Oldenburg zu Hause gewesen war . Derzeit aber war die Mutter mit allen Aufgaben auf sich alleine gestellt, da der Vater irgendwo an der Front Dienst tat.
Sie nutzte die letzte und noch einzigste Chance , um aus der Gefahrenzone herauszukommen, zusammen mit dem kleinen Sohn.
Es hat viele Tage während der Flucht gegeben, in denen Hunger, Traurigkeit und Angst den Ablauf bestimmten, meistens sogar. Es gab immer wieder ausweglose Momente, in den entschieden wurde, daß Mutter Elfriede den Zug verlassen mußte, der mal wieder für Stunden am gleichen Platz stand, um Nahrung und Milch zu besorgen.Beim Zurückkommen war sie dann jedes Mal froh gewesen, so erinnert sich Bernhard noch heute, daß der Zug noch da war und mit ihm der kleine Sohn.
Man war 6 Tage lang mit dem Zug unterwegs und fand in Schleswig-Holstein eine erstmalige Bleibe in einem großen Bunker. Es waren soviel Menschen dort und die einzelnen Schlafstätten wurden mit Decken abgetrennt, die irgendwie befestigt wurden.
In dieser Situation , so erzählte mir Bernhard, hatte er seinen 4. Geburtstag und sein einziges Geschenk war ein Notizbüchlein von einem kleinen Jungen aus der großen Gruppe, mit dem er sich etwas angefreundet hatte.
Nein, stop: Es gab noch ein Geschenk für ihn an diesem Tag. Es war der 08.Mai 1945 , es sollte wieder bergauf gehen mit Deutschland, die Waffen schwiegen und die Stille war ungewohnt und fast unheimlich.
Glücklicherweise waren der Mutter rechtzeitig Informationen durch die Kameraden des Vaters zugetragen worden, daß der letzte Lazarettzug noch zu erreichen sei, der sie auf den Weg in den Westen bringen sollte.
Auch über die Ostsee hätte man nach Schleswig-Holstein gelangen können, aber das war auch nicht mehr möglich, da die Schiffe – wie die Wilhelm-Gustloff- von Kriegsschiffen angegriffen wurden und ein Verbleib in Königsberg hätte den sicheren Tod bedeutet. Dann hätte es diese Erinnerungen heute nicht gegeben.
Der Vater hatte auf Umwegen von seiner Frau und seinem Sohn in Schleswig-Holstein erfahren und konnte sie später dort abholen.Sie legten die Wegstrecke nach Oldenburg zuerst mit dem Zug, präziser gesagt, auf einem Kohlentender zurück und später mit einem Lastwagen direkt bis nach Oldenburg. Man wohnte zuerst beim Großvater in Ofenerdiek, später dann an der Ofener Straße sowie in Kreyenbrück in der Kaserne und hat die Entbehrungen der Nachkriegszeit in extremster Form mitbekommen, bis dann Ende der 50er Jahre die Zeiten wieder besser wurden.
Selbst beim Schreiben der Kurzfassung der Flucht-Geschichte kann man sich ungefähr ausmalen, wie die hygienischen Verhältnisse und alles Drumherum gewesen sein muß, wieviel Einbußen ihrer Lebensqualität die Menschen ertragen und mit denen sie umgehen mußten. Trotzdem haben sie ihren Frohsinn und ihren Humor nicht verloren . Auch die Mutter Elfriede hat dem kleinen Bernhard damals trotzdem eine glückliche Kindheit geschenkt.Obwohl – oder gerade weil sie soviel Schlimmes erlebt hatte-, war sie immer für andere da und half wo sie konnte.
Auch sie fühlte sich in Oldenburg sehr wohl und lebte gerne in dieser Stadt, vergessen hat sie ihre Heimatstadt aber nie und redete von ihr wie von einem glitzenden Planeten, wahrscheinlich wurde ihr Königsberg immer schöner mit den Jahren.
Was man diesen Menschen zu verdanken hat, das weiß man erst wenn man ihre Geschichte kennt. Diese Mütter haben, fast noch im Mädchenalter, ihren Mann stehen müssen und haben Schwierigkeiten überwunden, für die kein Lob der Welt ausreichen würde.
So sieht auch Bernhard seine Mutter Elfriede, die für viele Mütter steht, die solche Odysseen mitgemacht haben, damals als der grausame Krieg ins Endstadium ging und eine extreme Feinseligkeit ausstrahlte.
Wenn er von seiner Mutter redet, dann sind seine Worte eine Hommage an sie und man spürt wie sehr er sie mochte.
Elfriede Buss ist 2008 im Alter von 89 Jahren verstorben. Ihre, und die Geschichten anderer, die den Krieg überstanden haben und ihm die Stirn boten, die lohnt es sich aufzuschreiben und den Nachkommen zugänglich zu machen, um ihnen postum Ehre zu erweisen, denn sie haben es mehr verdient als alle anderen.
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