Sonntag, 22. Februar 2015, 17:08 Uhr
Kindheitserinnerungen

Der "rote Hahn" in Hahn-Lehmden

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Auf dem Dach des Feuerwehrturmes in Hahn-Lehmden steht wohl immer noch der gleiche "Hahn", den ich schon als 5-Jährige an diesem Platz sah. Ob er allerdings damals auch schon rot angestrichen war, daran kann ich mich nicht mehr erinnern.

Oldenburg / Rastede / Ammerland
Vor Jahren, als ich eher zufällig den Hahn auf dem Feuerwehrturm wieder bewußt wahrnahm, beschloß ich , den Weg zu gehen, der früher zu einem Krankenhaus-Areal geführt hatte.
Ich war voller Zweifel, ob es die richtige Richtung war und fragte spontan die Dame, die mir entgegenkam. "Ob dieser Weg richtig sei, um das ehemalige Krankenhaus-Areal zu erreichen"? Sie bejahte es, aber reichte gleich die Information dazu, daß dort kaum noch Bauten erhalten seien, lediglich Überreste seien zu finden.
Im Weggehen drehte sie sich noch einmal um, "sind Sie da auch mal gewesen?" fragte sie.

Erst vor Kurzem hatte ich an dieser Geschichte gearbeitet, weil mir wieder soviel dazu eingefallen war.
Als ich jetzt vor ein paar Tagen einen Bericht über Hahn in unserer Tageszeitung las, da fand ich es an der Zeit, auch meine Geschichte über meinen -fast einjährigen- Aufenthalt in der Lungenheilstätte Hahn zu erzählen:


Immer noch sehr beschäftigt waren die Deutschen um 1950 mit dem Aufbau der vielen Ruinen und Trümmerhäuser, die der Krieg hinterlassen hatte.
Vieles, wofür der Krieg ursächlich verantwortlich war, kostete Zeit und Mühe und so gab es neben den vielen Suchaktionen nach vermißten Angehörigen auch im Krankheitswesen eine Menge zu tun. Schwer verwundete Heimkehrende mußten versorgt werden . Nicht nur ihre körperlichen Wunden nahmen Zeit in Anspruch, auch die psychische Verfassung benötigte eine Behandlung.
Dazu kamen die Folgeerkrankungen aufgrund der mangelhaften Ernährung, die das Immunsystem schwächten und viele bisher eher seltenen Krankheiten kamen jetzt verstärkt auf.
Das betraf sogar auch die Landbevölkerung, die eigentlich noch am günstigsten davongekommen war.
Als ich eines Tages, 5-jährig, in dem wohl einzigsten Auto des Dorfes mit meiner Mutter und dem Fahrer auf dem Weg nach Hahn unterwegs war, erwartete man mich dort in einer Lungenheilstätte. Eine von vielen übrigens, die zu der Zeit in Deutschland eingerichtet worden waren, um die große Anzahl der an Tuberkulose erkrankten Menschen aufnehmen zu können.
Alles woran ich mich erinnern kann ist der Hinweis meiner Mutter auf dieser Fahrt, daß ein ganz großer Wetterhahn gleich zu sehen sei , der symbolisch auch für den Ortsnamen Hahn angebracht worden war. Wo er sich befand, darauf habe ich damals nicht geachtet.
Seit vielen Jahren aber ziert er das Feuerwehhrhaus in Hahn und wahrscheinlich stand er damals auch schon dort oben.
Ich war viel zu eingeschüchtert und zu schwach um das notwendige Interesse aufbringen zu können. Nach monatelangem Keuchhusten, der schließlich in eine offene Tuberkulose endete, bekam ich die Einweisung in das Krankenhaus Hahn.
In der Klinik gab es wohl mehr Ärzte, aber an einen kann ich mich noch erinnern, sogar den Namen, Dr. Born, habe ich noch in Erinnerung. Vielleicht ist er mir deshalb so erinnernswert geblieben, weil er besonders gut mit Kindern umgehen konnte und ihnen einfach zuhörte, wenn sie einen Ansprechpartner benötigten.
Das Bild in meiner Erinnerung zeigt mir noch heute Momente und Situationen auf, die ich während meines einjährigen Aufenthaltes erlebte.
Obwohl manche denken könnten, daß es nur wenig ist, woran sich eine damals 5-Jährige heute noch erinnern kann, aber es ist ganz und gar nicht so.Es ist - geht man allem nach - sagenhaft viel - beeindruckend und die Gefühle wiedergebend, die sicher auch heute noch Kinder haben, wenn sie sich in einer ähnlichen Situation befinden.
Die Zeiten, in den Kinder hilflos allein in Krankenhäusern ihrem Schicksal überlassen sind, die sind Gott sei Dank aber schon lange vorbei, sodaß man gefühlsabhängige Vergleiche mit heute kaum noch anbringen kann.
Ich erinnere mich auch an die Traurigkeit, die mich überfiel wenn ich an mein Zuhause in der Gemeinde Apen dachte, wo meine Mutter und meine Großeltern lebten. Meine Mutter hatte gerade erst die Trauer um meinen Vater, der 1946 in russischer Gefangenschaft gestorben war, überwunden,......ich habe meinen Vater nicht mehr kennenlernen können.
"Sie vermissen mich und weinen um mich", dachte ich in dieser Zeit oft.
Ich erinnere mich auch daran, daß ich im Laufe meines Krankenhausaufenthaltes immer schwächer wurde und später erst wieder laufen lernen mußte. Die vielen, vielen Blutergüsse an meinen dünnen Ärmchen, aber auch sonst überall, dafür waren die unzähligen Spritzen ursächlich verantwortlich, die ich tagtäglich bekam.
Außerhalb des Gebäudes gab es eine Liegehalle, dort wurden wir in Decken gehüllt nebeneinander aufgereiht, weil die frische Luft für unsere kranken Lungen so gut sein sollte.
Es waren auch Erwachsene dort , wie ich heute weiß, aber ich erinnere mich eigentlich nur an die Kinder, die mit großen Augen von Patienten erzählten, die Blut gespuckt hätten und von denen, die an ihrer Krankheit gestorben seien.
Wir alle aßen von weißen Porzellantellern, auf dessen Rand ein rotes Niedersachsenroß aufgedruckt war. Ich habe diesen roten Abdruck immer mit Blut, Krankheit und Sterben in Verbindung gebracht und wenn ich ganz ehrlich bin, dann sind immer noch solche Gedanken in meinem Kopf, wannimmer ich an das Krankenhaus denke.
Auch das Weihnachtsfest 1950 verlebte ich im Krankenhaus Hahn, weil gerade zu dem Zeitpunkt die Krankheit auf dem Höhepunkt war .
Diejenigen, denen es schon besser ging, hatten einen kleinen Chor gebildet und sangen jetzt zu Weihnachten an jeder Zimmertür von Bettlägerigen ihre Weihnachtslieder.
Für viele Kinder ein letztes Weihnachtsfest, und für viele Kinder ein sehr trauriges.
In dieser Zeit gab es immer wieder Situationen, so erzählte mir meine Mutter damals, in denen auch keiner mehr an meine Genesung geglaubt hatte.
Ich habe noch lange mit der Krankheit zu tun gehabt, auch noch über Jahre in anderen Krankenhäusern.
In Hahn aber hat das Schicksal entschieden, welchen Weg es für mich geben sollte, nachdem ich alles über mich ergehen ließ um weiterleben zu können.
Die Kraft , einen Kampf um das Leben zu kämpfen ist sicherlich verstärkt den Kindern gegeben. Vielen älteren Erwachsenen ist der Lebenswille verlorengegangen oder ihnen fehlt die Kraft darum zu kämpfen.

Nach meinen Informationen wurde die Heilstätte in Hahn später zu einem Durchgangslager für Flüchtlinge umgerüstet und noch mal viel später muß dort ein Campingplatz angelegt worden sein.
Als ich vor Kurzem wieder mal dort war, habe ich nicht wirklich Gebäudereste oder gar Bauten gefunden, an die ich mich erinnern konnte.
Nur speziell an den roten Feuerwehr- Hahn erinnerte ich mich sehr gut, etwas weniger und vielleicht nur vage an den Bereich, der früher wohl den Eingang des Krankenhaus-Areals ausgemacht hatte.
Damit die historische Bedeutung dieses Teilstückes von Hahn-Lehmden nicht unter dem Mantel des Vergessens verschwindet, wäre es toll, wenn alle, die eine Zeit dort verbracht haben, ihre Gedanken aufschreiben und für andere zugänglich machen könnten.
An dem Weg zum ehemaligen Krankenhaus ist im Jahre 2010 ein Mahnmal errichtet worden, im Rahmen eines Projektes "Vergessene Orte".


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